GRÖNLAND
30. Oktober 2023 admin
INTRO
Dieser Reisebericht ist eine chronologische Aufzeichnung unserer Reise für den Fall, dass wir auf Grund voranschreitender Alterungsprozesse uns mal nicht mehr so genau erinnern können. Er enthält keine Werbung für die wir Geld oder Sachleistungen empfangen haben.
25. März 2023
Wiedermal Glück gehabt. Wir haben vor unserem Grönland Trip zwei Tage Kopenhagen geplant. So kommen wir vor dem Mega-Streik im öffentlichen Dienst aus Deutschland weg. Entspannt fahren wir zum Flughafen, auf dem nur wenig los ist. Die wenigen Reisenden verlieren sich fast in der großen Halle und nur wenige Maschinen stehen an den Gates. Da beschleicht mich der Gedanke, dass der Flughafen gar nicht zu klein geplant und gebaut wurde. Vorausschauende Planer scheinen gewusst zu haben, dass das exzessive Reisen eines nicht so fernen Tages ein Ende haben wird. Vom Terminal fahren wir mit einem Bus zur der Maschine auf dem Rollfeld. Es sind nur etwa 200 Meter bis zum Flugzeug, doch als wir fast dort sind, dreht der Fahrer wieder um. Alle schauen sich verwundert an. Vielleicht müssen wir uns dem kleinen Flugzeug vorsichtig nähern, damit es keinen Schreck bekommt vor dem großen Bus. Nein, der Busfahrer, ein Rentner der hier eingesprungen ist, hat sich verfahren. „Auf Grund eines Unwetters mussten wir unsere Route ändern“, lässt er über den Bus-Bordfunk verlauten. Wenig später sitzen wir in der kleinen ATR 72-600, deren 72 Sitzplätze bis auf den letzten Platz gefüllt sind. „ATR-72-600 Das treibstoffeffizienteste Regionalflugzeug„, wirbt der italienisch-französische Flugzeughersteller und heute reichen offensichtlich kleine Maschinen für die wenigen Reisenden von Berlin nach Kopenhagen aus. Eingeklemmt in Zweierreihen, auf Sitzen mit dem Komfort von Hartfaserplatten ertragen wir die eine Stunde und zehn Minuten Flugzeit. In Kopenhagen staunen wir aber nicht schlecht, dass man aus der beschaulichen Stadt mit 600.000 Einwohnern nonstop nach New York, Newark, Detroit, San Francisco, Chicago, Bangkok, Singapore und Indien fliegen kann. Da wird der deutsche Hauptstädter ganz neidisch.
Am Nachmittag genießen wir die Hüggehauptstadt und vor allem den Umstand das es kaum regnet und die Temperatur auf bis zu zehn Grad über Null ansteigt.
26. März 2023 (1°/4°C)
Im Vergleich zu gestern, ist es heute mit ein bis vier Grad Celsius unangenehm kalt geworden. Trotzdem hangeln wir uns tapfer von einer Sehenswürdigkeit zum nächsten Insta-Spot, während sich der normale Kopenhagener noch einmal im Bett umdreht. So sind wir schon früh am Superkilen dem Spielplatz für Erwachsene auf dem früher die Straßenbahnen ihr zu Hause hatten.
Wir überqueren die „schönste Brücke Kopenhagens“, die Dronning Louises Bro. Das einzige was ich an dieser Brücke wirklich schön finde ist, dass man trockenen Fußes von einem Ufer des Peblinge Sø zum anderen gelangt.
Eine Sehenswürdigkeit ist in meinen Augen die führerlose Metro, die im fünf Minuten Takt fährt und fast jede Ecke Kopenhagens erschließt. Sauber, pünktlich und nie überfüllt. Rolltreppen und Fahrstühle die sogar funktionieren runden das komfortable Nahverkehrsangebot ab und wieder blickt der Berliner neidvoll auf dieses technische Wunder.
Im „Paludan Bogcafe“ wähnt man sich eher in einer Bibliothek oder einem großen Wohnzimmer. Das Café ist eine Kopenhagener Institution und glücklich ist, wer einen Platz in einer ruhigen Ecke ergattert. Eher abseits der touristischen Viertel befinden sich der Alex-Tower und der Maersk-Tower, die mit ihrer futuristischen Gestaltung und der gekonnten Linienführung die Architektur-Fotografen begeistern.
Beeindruckend, wenn auch aus einem anderen Jahrhundert ist die hölzerne Dachkonstruktion des Københavns Hovedbanegård (Hauptbahnhof), der 1911 eingeweiht wurde. Letzte Stationen des Tages sind die kleine Meerjungfrau und die Staue des Eisbären mit zwei Jungen. Das Loch im Kopf der Bronzestatue des Eisbären, wird einem deutschen Soldaten zugeschrieben, der den Eisbären in den Kriegsjahren „versehentlich“ erschoss.
27. März 2023 (-1°/4°C)
Die Füße und Beine schmerzen, aber nach dem Frühstück machen wir uns auf zu einer weiteren Stadt-Expedition. Die Sonne scheint und es ist nicht ganz so kalt wie wir dachten. Vielleicht aber auch, weil wir uns nach der frostigen Erfahrung gestern wie für eine Arktis-Expedition gekleidet haben. Die Dänen sind da weniger empfindlich und so reicht manchen Herrn auch eine kurze Hose oder gar ein kurzes Shirt und hin und wieder sieht man sogar eine Frau mit Minikleid.
Sollte man die Christiana-Kommune unbedingt besucht haben? Wenn eine Gruppe Menschen entscheidet abseits der Gesellschaft alternativ zu leben, scheint es ziemlich absurd, wenn diese Kommune dann eines Tages ein touristisches Highlight ist. Inzwischen hat man sich in Christiana auf die Besucher eingestellt und es entstehen immer mehr Cafés und kommerzielle Geschäfte. Lernt man was über die Menschen die dort leben und ihre Weltsicht? Nein! So wie wir schlendern die meisten doch nur ein wenig umher, konsumieren vielleicht einen Kaffee und einen Joint und gehen wieder. In intensiven Kontakt mit den Bewohnern kommt man nicht. Dicke Schneeflocken fallen vom Himmel und so muss ich mich hier nicht länger langweilen. Wir fahren zurück ins Hotel, entledigen uns einiger Schichten unserer Kleidung und gehen nebenan ins Café Fellaz. Zunächst sind wir unschlüssig ob wir es wagen sollen hineinzugehen. Einige Stufen abwärts in einem Kellergewölbe, fürchten wir die einzigen Gäste zu sein. Weit gefehlt. So unendlich viele Cafés und Restaurants es in Kopenhagen auch gibt, meist sind sie alle auch an Vormittagen in der Woche gut gefüllt. So finden wir gerade noch ein lauschiges Plätzchen. In Deutschland würde ein solches Café in einer Seitenstraße im Keller keinen Monat überstehen. Es ist noch Zeit einen echten dänischen Hot Dog zu essen, bevor wir unsere Sachen für morgen früh zusammenpacken.
Trotz widrigen Wetterbedingungen haben wir wohl die meisten Sehenswürdigkeiten Kopenhagens besucht, auch wenn in diesem Reisebericht nicht alle namentlich genannt sind. Ob man nun das Rathaus, die Schlösser oder diverse Plätze besucht hat oder Fiffi macht ´ne Wurst ist mir dann auch egal. Regen, Wind, Schneefall und manchmal ein paar Sonnenstrahlen bei kühlen Temperaturen, sind ebenfalls nicht die klimatischen Bedingungen in denen ich mich wohlfühle. Kopenhagen fühlt sich für mich an wie eine beliebige Stadt in Norddeutschland, nur das hier das Wetter meist noch mieser ist. Das ist natürlich sehr subjektiv, da ich Städten ohnehin nicht viel abgewinnen kann (allerdings bestätigte ein junger Däne, mit dem wir in Ilulissat über unseren Kopenhagen-Besuch sprachen, diesen Eindruck).
Dienstag 28.März 2023
Drei Stunden vor Abflug am Flughafen. Das sind die Regeln für einen fünf Stunden Flug von Kopenhagen nach Kangerlussuaq. Dafür müssten wir das Frühstück ausfallen lassen, was wir natürlich nicht tun. Wir kommen einfach später! Da zu unserer Überraschung an den Sicherheitskontrollen in Kopenhagen ein ähnliches Chaos wie am BER zur Ferienzeit herrscht, müssen wir uns unauffällig vordrängeln um unseren Flug noch zu bekommen.
An Island vorbei erreichen wir Grönland und fliegen über das scheinbar unendliche Eis. Das Hotel in Kangerlussuaq befindet sich in der ersten Etage des Flughafengebäudes, dass nur ein Modulbau auf Betonsäulen ist, die im Permafrostboden gegründet sind. Unser Zimmer können wir noch nicht beziehen und so müssen wir uns in einem ehemaligen Friseurstudio, zwischen abgestellten Möbeln und zerbrochenen Waschtischen umziehen, da nur wenig später unsere erste Grönlandtour beginnt und wir uns für die -15 Grad Celsius draußen präparieren müssen.
„Nach einer holprigen Fahrt ist es an der Zeit ihre Füße auf das massive Grönländische Eiskap zu setzen“ heißt es in der Tourbeschreibung zum Point 660. Das klingt gut und so buchen wir uns in eine dieser Touren ein. Immer mehr Leute strömen in den, zum Fahrgastraum umgebauten Kasten des geländegängigen LKWs. Anders als erwartet, fährt der Bus durch karge braune Landschaft, in der einige Rentiere umherstreifen und Schneehasen sich vor dem Bus in Sicherheit bringen. Das was für uns langweilige Geröllhalden sind, sind die „fantastischen Moränenlandschaften“, wie es in der Tourbeschreibung heißt. Ein Fotostop am Wrack eines amerikanischen Kampfflugzeugs, das 1968 hier eine Bruchlandung machte, und einige weitere Stopps an belanglosen Punkten folgen. Das es arktische Wüsten gibt wussten wir vorher nicht und auch nicht, dass die Straße zum Point 660 Ende der 1990er Jahren von Volkswagen gebaut wurde, um Fahrzeuge zu testen und Foto-Sessions im ewigen Eis zu machen. Auch ohne die Erläuterungen des Fahrers über den dramatischen Schwund von Eis und Gletschern wäre einem wohl aufgefallen, dass mit dem Grönlandeis irgendwas überhaupt nicht mehr stimmt. Jahr für Jahr ziehen sich die Gletscherzungen weiter zurück und hinterlassen Berge aus Steinen und Schutt.
Nach zwei Stunden erreichen wir Point 660 und Ernüchterung macht sich bei uns breit. Das Gelände erinnert mit seinen Schutthalden und dem Bulldozer, der mittendrin parkt, eher an eine Großbaustelle. Man muss erst einen Kilometer laufen bis man einen Blick auf das Eiskap hat. Da stehen wir nun am Rand des grönländischen Eiskaps. Eine unendliche Eisfläche glänzt im Sonnenlicht. 1050 Kilometer breit, 2670 Kilometer lang und bis zu drei Kilometer dick. Wir kennen jemanden, der diese Todeszone zu Fuß durchquert hat und obwohl wir den Bericht kennen und die Bilder gesehen haben, fällt es uns schwer uns vorzustellen, welche Willenskraft man haben muss um das zu wagen und zu überleben.
Die Rückfahrt verläuft noch unspektakulärer als die Hinfahrt. Der Busfahrer spricht mit gedämpfter Stimme, macht ein Gesicht als würde er mit uns ein Geheimnis teilen und sagt: „Ich überlege ob wir das machen. Es ist zwar illegal aber ich denke es wird euch sehr gefallen“ und fährt los. Wenig später verlassen wir die Straße und fahren zehn Meter hinunter ans Ufer eines zugefrorenen Gletschersees. Von hier fährt der Allrad-LKW zwanzig Meter auf den zugefrorenen See und wir dürfen sogar aussteigen. Jede Menge Reifenspuren verraten, dass so ziemlich jeder Bus hier auf den See fährt.
Zurück in Kangerlussuaq beziehen wir unser Zimmer und gehen in der Flughafen-Kantine zu Abend essen. Ebenfalls anders als erwartet können wir durchschlafen, denn die „Aurora-App“ sagt für heute Nacht keine Nordlichter vorher.
29. März 2023 (-16/-11)
Wir müssen uns beeilen, denn um 8:35 Uhr soll unser Flug von Kangerlussuaq nach Ilulissat starten. Soll! Doch die die Maschine hat zwanzig Minuten Verspätung. Nur zehn Minuten danach geht wieder ein Flug von Kangerlussuaq nach Ilulissat. Beide Male sind es De Havilland Dash-8 mit 38 Sitzplätzen. Die ehemaligen Militärflughäfen sind zu klein für größere Flugzeuge und so fliegt eine Flotte zweimotoriger Propellerflugzeuge täglich die Fluggäste in kleinen Gruppen von Ort zu Ort. Mit tiefem Brummen gleitet die Propellermaschine über das Eis. Ein Tuch aus dünnen Wolken liegt in den Tälern aus denen schroffe Bergspitzen herausragen. An Bergflanken hängen Wolken herab, die im Frost erstarrt zu sein scheinen. Nach einer dreiviertel Stunde kommt Ilulissat in Sicht. Ist ja eine ganz schön große Stadt, denke ich und habe dabei das Bild des Eisfjords mit den pittoresken roten Häuschen, welche die Bucht säumen im Kopf. Dieses Bild, mit dem in Reiseprospekten noch heute geworben wird, muss wohl zwanzig Jahre alt sein.
Nach der Landung werden wir vom Flughafen abgeholt und zu unserem Hotel gefahren. Wir haben uns für ein Deluxe-Zimmer im Hotel Icefjord entschieden, da es nach meinen Recherchen das einzige Hotel ist, dessen Aussicht auf den Fjord nicht mit anderen Gebäuden oder Industrieanlagen zugebaut ist. Hier haben wir ein Zimmer mit Balkon, auch wenn der bei den arktischen Außentemperaturen nur zum Schockkühlen von Getränken geeignet ist. Die Aussicht auf den Icefjord lässt man sich bezahlen. Zimmerservice, Nettigkeit und Hilfsbereitschaft sind eher auf dem Niveau einer Absteige. Das hochgelobte Restaurant spiegelt Land und Kultur Grönlands wider. Die Küche verwendet Produkte wie frischen Fisch von den lokalen Fischern und grönländische Rentiere und Moschusochsen aus der Kangerlussuaq Region. Auch wenn die Zutaten ähnlich waren, so ist wohl klar, dass die Inuit niemals so opulent speisten. Wir testen das zwar Mal, müssen aber feststellen, dass der lokale Geschmack nicht so ganz unser Geschmack ist.
Ein Stadtrundgang durch Ilulissat bestätigt den ersten Eindruck aus der Luft. Von der einstigen Idylle ist nichts geblieben. Die Stadt ist planlos zugebaut mit neuen dreistöckigen Gebäuden und sogar Hochhäuser wie das Best Western Plus Ilulissat können hier am Ufer des UNESCO-Weltnaturerbe Eisfjords errichtet werden. Hier und da stehen noch einige der Holzhäuser die einst das Stadtbild prägten. Die meisten jedoch sind verlassen oder werden in Kürze von Baufahrzeugen gefressen, die hier neue Gebäude für die touristische Infrastruktur entstehen lassen. Ist es jetzt im Übergang zum Frühjahr in der Stadt noch recht beschaulich, da nur knapp tausend Besucher in der Stadt sind, so wird die Stadt zwischen Mitte Juni und September von bis zu 12.000 Touristen pro Tag überrannt. Ein nicht unerheblicher Teil davon sind Kreuzfahrer, die auf dem Schiff Touren gebucht haben und keine müde Krone in Ilulissat ausgeben. Ein Rundgang durch die Stadt ist dann ein unerträglicher Spießrutenlauf. Ausgebuchte Touren, Schlangen vor den Restaurants und ausgebuchte Hotels, die Fantasiepreise für eine Übernachtung aufrufen sind die Folge. Selbst wenn sich die Einheimischen abends mal eine Pizza bestellen wollen, kommt es vor, das diese entweder ausverkauft sind oder sie zwei Stunden darauf warten müssen. Trotzdem man den zunehmenden Tourismus kaum bewältigen kann, wird ein neuer Flughafen gebaut, auf dem dann größere Flugzeuge landen können.
Für die Nacht buchen wir uns in eine Nordlicht-Tour ein. Dazu laufen wir von unserem Hotel eineinhalb Kilometer bis zum Treffpunkt für die Tour. Wir hatten angenommen, man würde mit uns in eine abgelegene Landschaft ohne Lichtverschmutzung fahren. Dass man mit uns nur zum Icefjord-Center eineinhalb Kilometer von unserem Hotel entfernt fährt, konnten wir nicht ahnen. Einen ortskundigen Guide zu haben ist eben nicht immer von Vorteil. Der einzige Vorteil ist, dass wir den Weg zurück zum Hotel nicht laufen müssen.
30. März 2023 (-16/-25)
Im Tourprogramm ist heute ein Ausflug nach Sermermiut enthalten. Die Strecke die wir zur Agentur in der Stadt zu Fuß zurücklegen, hätten wir auch selbst nach Sermermiut laufen können, denn der Bus hält wieder genau dort, wo wir gestern Nordlichter fotografiert haben. Also knappe zwei Kilometer fußläufig von unserem Hotel entfernt. Jetzt komme ich mir doch ein wenig blöd vor. Das gute ist, wir sind die einzigen Tourteilnehmer und so erfährt man doch etwas mehr über die Menschen die hier einst lebten. Sermermiut ist eine verlassene Inuit-Siedlung, welche durch die Saqqaq-, frühe Dorset- und Thule-Kulturen genutzt wurde. Allerdings ist von den Siedlungsplätzen nichts mehr zu sehen. Details, wie die, dass die Innuit Behausungen aus Walknochen errichteten, da Holz als Baumaterial hier nicht zur Verfügung stand oder das sich ältere Frauen als Opfer von Felsen in Meer stürzten, wenn die Nahrungsmittelsituation dramatisch schlecht war, sind durchaus interessant. Es kam auch vor, dass sich männliche Stammesmitglieder opferten. Diese jedoch verließen die Siedlung in Richtung Inlandeis um zu sterben. Man glaubt, dass ihr Geist jedoch weiterlebt und sie dann als Wal, als Hund oder gar als Eisbär zurückkehren. Diese Geisterwesen fressen dann auch schon mal ein Kind. Dieser Glaube ist bis heute lebendiger Bestandteil der Innuit-Kultur. Von einem der Felsen bei Sermermiut streift der Blick über die Strukturen der weiten Eisfläche hin zu den gigantischen Eisbergen, die im Winter in der Bucht festgefroren sind. Im Sommer schiebt sich das Eis endlos vom 65 Kilometer entfernten kalbenden Gletscher Sermeq Kujalleq Richtung Meer. Vor einhundert Jahren war der Gletscher jedoch dort wo wir heute stehen und eben nicht 65 Kilometer entfernt.
Über den hölzernen Steg, auf dem sich im Sommer Menschenmassen durch das UNESCO-Naturerbe-Gebiet schieben, geht es zurück zum Parkplatz.
Zurück in der Stadt kehren wir im „Sunset Boulevard“, einem grönländischen Schnellrestaurant ein, dass auch vegetarische Burger offeriert. Hier beobachten wir mit Faszination, wie sich Inuit, deren Körper sich seit Jahrhunderten dem entbehrungsreichen Leben angepasst haben, sich mit kalorienangereicherten Burgern und Fritten vollstopfen, damit sie noch schneller noch runder werden.
Am Abend machen wir die letzte Northern-Light Tour der Saison mit. Die Tour startet eine Stunde früher als die gestern und führt auf denselben Parkplatz. Es ist so hell, dass man ohne Lampe ein Buch lesen könnte. Die Diskussion über die Wahl des Motivs endet damit, dass mir gesagt wird ich könne nicht dort hingehen wo ich wollte, denn die Wahl des Standpunktes sei eine Entscheidung der Gruppe. Nur das die Mehrheit der Teilnehmer, der Guide eingeschlossen, keinen Schimmer von Fotografie oder Bildgestaltung haben. So stehen sie in einer Senke halten ihre Smartphones vor sich und versuchen Nordlichter zu erahnen. Diese erscheinen auch, doch da es viel zu hell ist und der Mond von oben wie ein Flutlichtmast reinknallt, sind sie natürlich kaum zu sehen. Als es dunkel wird, ist die Zeit der Tour abgelaufen und der Guide wird pünktlich weit vor Mitternacht zu Hause sein. Wer seine Zeit und sein Geld verschwenden will ist auf diesen Nordlichttouren von Ilulissat aus genau richtig.
31.März 2023 (-13/-16)
Leider findet man zu einem Touristen-Hot Spot wie Ilulissat kaum konkrete Informationen und die Reiseveranstalter beantworten Fragen interessierter Besucher nur vage, immerhin müssen sie ja Reisen verkaufen und sind keine Berater. Was ich wissen wollte ist jedoch sehr einfach zu beantworten. Im Winter ist der Eisfjord meist zugefroren. Die Eisberge bewegen sich nicht wahrnehmbar. Von Mitte Januar bis Mitte März kann man Nordlichter fotografieren. Man sollte aber darauf achten, dass es klar ist und möglichst den Zeitraum um den Neumond wählen. Bootstouren gibt es wenige und über die Sinnhaftigkeit von so manchem Ausflug kann man sich streiten. Im Sommer ist es unerträglich voll und die einzige wirklich sinnvolle Unternehmung sind die Bootsfahrten auf dem Fjord. Es ist aber zu befürchten, dass es mehr Boote als Eisberge zu sehen gibt. Auf jeden Fall ist Ilulissat in drei Tagen abgefeiert. Fünf Tage sind zu viel!
01. April 2023, (-14°/-19° C)
„Heute gehen wir auf eine atemberaubende dreistündige Schneemobiltour“, steht in der Tourbeschreibung für diesen Tag. Anna, heißt die kleine Dänin, die vielleicht Anfang 20 und unser Guide für diese Privattour ist. Das wir nur zu dritt sind hat den unschätzbaren Vorteil, dass man nicht irgendwelche Angsthasen oder Langweiler im Schlepptau hat, die Snowmobile mit Slowmobile verwechseln. Auf der Route gibt es ein paar spannende Passagen und steile Abschnitte durch Canyons, sowie eine Strecke die als Highway bezeichnet wird. Hier auf einem gefrorenen Fluss kann man auch mal die 80 Stundenkilometermarke erreichen. Da ich weiß, welchen Spaß Caroline an schnellen Fahrzeugen hat, überlasse ich es ihr das Snowmobile zu jagen. Manchmal hat man den Eindruck sie jagt Anna. Anna wiederum ist erstaunt, dass sie die Gelegenheitsfahrerin nicht abhängen kann. An einem Aussichtspunkt, an dem man einen schönen Blick auf die Diskobucht hat, trinken wir einen Schluck Tee und machen uns nach zwanzig Minuten wieder auf derselben Route auf den Rückweg. Leider fallen weitere Fotostops aus, da das Snowmobile von Caroline seinen Geist aufgibt. Sie bekommt das leistungsstärkere Snowmobile von Anna und Anna fährt auf dem Snowmobile eines Einheimischen mit, der Caroline auch nicht abhängen kann. So ist diese Tour leider vorzeitig zu Ende.
Am Abend nehmen wir an einer Fahrt in der Disko-Bucht teil. Mühsam schiebt sich das Schiff durch die fast vollständig zugefrorene Bucht. Mehrere Male werden wir bei Kollisionen mit dicken Eisplatten so von den Füßen gehauen, dass man aufpassen muss nicht über Bord zu gehen. Auf halber Strecke gibt einen Vortrag über den Jakobshavn-Gletscher und das Phänomen der Disko Bucht. Der Gletscher schiebt sich bis zu 46 Meter pro Tag voran und ist damit weltweit der schnellste und produktivste Gletscher der Welt. Die bis zu 500 Meter hohen Eisberge, von denen jedoch nur zehn Prozent aus dem Wasser ragen, treiben in der Diskobucht Richtung Meer. Sie stranden dann an einer Grundmoräne unter Wasser, an der die Wassertiefe nur noch 200 bis 300 Meter beträgt. Das sind die geologischen Rahmenbedingungen, die diesen Fjord so einzigartig machen. Die tiefstehende Sonne am Abend sorgt für interessante Lichtstimmungen. Der Preis sind kalte Füße und Finger. Die lebensfeindlichen Temperaturen halten mich jedoch nicht davon ab ein viertes Mal auf Auora-Borealis Jagd zu gehen.
Solange ich noch im Licht der Stadt laufe und eine befestigte Straße unter den Füssen habe, fühle ich mich sicher. Doch wenn der Schein der letzten Laterne von der Dunkelheit verschluckt ist und man sich zwischen einem Friedhof und dem zugefrorenen Eisfjord, der in den Labradorsee mündet, befindet, poppt plötzlich doch die Frage: „Gibt es hier wirkliche keine Eisbären?“ in meinem Kopf auf. Ein wenig unheimlich ist es hier schon. Was ist das Schwarzes dort hinten? Hat sich da nicht gerade etwas bewegt? Wenn man lange genug im Licht des Mondes auf einen entfernten Punkt starrt, dann beginnt er sich zu bewegen. Es kann kein Eisbär sein aber sicher bin ich mir nicht. Los jetzt, Kamera aufbauen und Nordlichter fotografieren, befehle ich mir wortlos. Die schwarzen Felsen bewegen sich nicht. Dafür aber tanzen die Nordlichter die ganze Nacht am Himmel über Ilulissat.
02. April 2023 (-14/-19 °C)
Es soll ja Leute geben die behaupten, dass wenn man alles nur durch den Sucher einer Kamera betrachtet, man das Erlebnis nicht genießt. Das Gegenteil ist der Fall! Wenn ich versuche Stimmungen in Bild oder Video festzuhalten, dann betrachte ich alles viel genauer um den richtigen Moment oder das Motiv rechtzeitig zu erkennen. Nicht selten machen wir, oder manchmal auch nur ich, Touren doppelt, dreifach oder mehrfach um verschieden Lichtstimmungen am selben Motiv zu haben oder die Chancen auf einen „Treffer“ zu erhöhen. Hin und wieder schaut man uns verwundert an, wenn wir erzählen, wie lange wir an einem bestimmten Ort bleiben, denn die wenigsten bleiben fünf Tage, zum Beispiel in Ilulissat. So war ich insgesamt auf vier Aurora-Borealis Touren und auf zwei Bootstouren im Fjord. Einmal zum Sonnenuntergang und einmal um 10 Uhr am „Morgen“.
03-04. April 2023 (-2° C-8° C)
Nach dem Frühstück werden wir zu Flughafen gebracht um von dort von Ilulissat über Kangerlussuaq nach Kopenhagen zu fliegen. Beide Flüge sind bis auf dem letzten Platz ausgebucht. Am 4. April 2023 geht es dann mit einer Bombardier CRJ900 der SAS nach Berlin. Zu unserem Erstaunen ist dieser Flug nur zu einem Drittel ausgelastet, so dass fast jeder Passagier einen Doppelsitz für sich hat. Bei einer Flugzeit von 35 Minuten ist das aber kaum ein Gewinn.
Grönland und vor allem der Eisfjord Ilulissat ist ein einzigartiger Ort auf diesem Planeten. Doch schmälert der ausufernde Tourismus, von dem wir ein Teil sind, das Erlebnis inzwischen sehr. Es wäre wohl besser man würde Nationalparks und Schutzgebiete für den Zugang von Menschen gänzlich sperren.
Während der Reise entdeckte ich einen Bericht über den Zustand des grönländischen Eisschildes. Wer sich also für noch mehr über Grönland interessiert: Grönländischer Eisschild
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