KEEP AWAY FROM SEAM REAP!
Wie die riesige Hand eines Aliens umklammern die Wurzeln der Würgefeigen die bemoosten Ruinen von Ta Prohm. Zwei Touristinnen posieren vor dem wohl berühmtesten Motiv der Angkor Tempelanlagen. Schnell noch ein paar Verrenkungen fürs Selfi, die französische Reisegruppe wartet schon ungeduldig, um das hölzerne Podest zu besteigen und ein Gruppenfoto zu machen. Den ganzen Tag warten an allen Tempeln in Angkor Touristen um Fotos zu machen, überall werden Selfie-Sticks hochgehalten und nicht immer geht es friedlich zu. Vergeßt alles was ihr je über die Tempelanlagen von Angkor, beziehungsweise über Siem Reap gehört habt. Formulierungen wie „um diese Tageszeit werden sie die Tempelanlage fast für sich alleine haben“ oder ähnliche sind schlicht nicht zutreffend oder sogar arglistige Täuschung! In den Tempelanlagen von Angkor erreicht der touristische Overflow eine neue Dimension.
Ab 4:30 Uhr am Morgen postieren sich fünfbeinige Hobbyfotografen an der brackigen Wasserlache von dem Haupttor von Angkor Wat. Noch bevor die Sonne aufgeht, haben sich vor dem wohl bekanntesten Motiv von Angkor etwa 1.000 Menschen versammelt. Die mehrheitlich asiatischen Besucher quasseln, rufen, schreien und übertönen die unerträgliche Stille, damit erst gar keine Stimmung aufkommen kann. 10.000 Bilddateien sind schon angefertigt, bevor der Himmel sich färbt und es überhaupt Sinn macht auf den Auslöser zu drücken. Seit dem die ersten Besucher im Dunkeln eingetroffen sind, beginnen Kinder Kaffee, Tee, Shirts, Postkarten und Bücher an die Touristen zu verkaufen. Sie werden bis zum Einbruch der Dunkelheit durcharbeiten.
Zur gleichen Zeit beginnt der Run auf die Tempelanlagen. Etwa 8.000 Besucher pro Tag machen hier Tempelkunde im Schnelldurchlauf. Jeder der berühmten Spots ist inzwischen durch hölzerne Absperrungen und Seile verunstaltet. An manchen Stellen sind sogar Podeste aus Holz errichtet worden, auf den en sich vornehmlich chinesische und japanische Besucher in albernen Kostümen in noch lächerlicheren Posen abbilden lassen. Reisegruppe auf Reisegruppe und dazwischen die Individualreisenden schieben sich durch die Gänge und die Jahrtausend alten steinernen Kunstwerke. In den Tempelanlagen ist kein Platz mehr die Großartigkeit dieser Anlagen auf sich wirken zu lassen. Die Aura von Angkor wird verdrängt durch die schiere Masse an Touristen.
In dem Moment, wo man den obligatorischen und unumgänglichen Touristenpass für mindestens 20 Dollar erworben hat, ist man mittendrin im „Entsafter“ des Sokimex Konzerns. Das kleine Kärtchen ist die Eintrittskarte in die Welt der Khmer-Tempel, das größte religiöse Bauwerk der Welt, Symbol und Stolz aller Kambodschaner. Der Umriß der Tempelanlage Angkor prangt auf der kambodschanischen Landesflagge, sein Name steht für Produkte von Bier bis zu Zigaretten, und viele der Hotels führen die sechs Buchstaben an prominenter Stelle im Namen. Hier, wo die Tempelanlagen zur Money-Maschine degradiert wurden, wird die Pflicht zum Besucherpass rigoros durchgesetzt. Vor jedem Tempel, an jedem Parkplatz und manchmal auch zwischendrin wird der Ausweis kontrolliert. Einen faden Beigeschmack hatt die Ticket-Manie allerdings. Pächter des gesamten Angkor Komplexes ist die Sokha Hotel Co. Ltd., Teil eines in den 90er Jahren entstandenen Firmenkonglomerats rund um den kambodschanischen Erdölkonzern Sokimex. Welcher Anteil der Einnahmen an den Staat weitergereicht wird, ist in der kambodschanischen Politik immer wieder Gegenstand heißer Diskussionen. Sowohl von Sokimex als auch von staatlicher Seite werden keine exakten Daten preisgegeben. Abhängig von der Aufenthaltsdauer kosten die Pässe zwischen 20 und 60 Dollar pro Kopf. Da könnten schnell 50 Millionen Dollar im Jahr zusammenkommen!
Wir haben uns als Partner in Siem Reap für die Agentur About Asia entschieden, da diese Agentur einen Teil der Gewinne in lokale Schulprojekte investiert und so die Bildung von mehr als 50.000 Kindern finanziert. Zudem organisiert About Asia die Touren möglichst so, dass man die schlimmsten Ansammlungen von Menschen in den Anlagen vermeidet. Allerdings wird dies mit dem zunehmenden Besucherandrang immer schwieriger. So erleben auch wir zum Sonnenuntergang auf dem Bakheng Hill unseren ersten Massenandrang. Die Tempelruine von Bakheng hatte einen spektakulären 360 Grad Blick, der jedoch inzwischen weitegehend zugewachsen ist.
Die Stadt Siem Reap besteht fast ausschließlich aus Hotels, Restaurants und Shops. In den verbliebenen Baulücken finden sich kleine Servicebetriebe der touristischen Infrastruktur. Es ist so voll auf den Straßen, dass man sie manchmal kaum überqueren kann. Staub und Lärm mischt sich mit den Abgasen von Mopeds, Tuc Tucs, Kleinbussen und den klimatisierten Großraumbussen. Das touristische Epizentrum ist die Street 8, deren Nickname „Pub Street“ ist. Alle Guides und die gedruckten Reiseführer in allen Sprachen, empfehlen diese Straße als Erlebnismeile für den Abend und sind sich sicher, dass es das ist was Touristen wollen. Man wähnt sich auf einer beliebigen Partymeile wie zum Beispiel die „Bierstraße“ auf Mallorca. Hier treffen sich Touristen aller Nationen und aller Couleur. Blinkende Leuchtreklamen überspannen die Fußgängerzone. Aus jedem Restaurant brüllt eine andere Musik, deren Lärmpegel Unterhaltungen schwierig macht. Globalisierte Küche die alle aufbietet was nicht landestypisch ist. Wer will, kann sich in der „Pub Street“ eine italienische Steinofenpizza, Hamburger, Wiener Schnitzel oder vietnamesische Frühlingsrollen ordern. Nur selten kommt es vor, dass nicht alle Restaurants ausgebucht sind. Glücklicherweise gibt es tausend Alternativen zum Massenbetrieb der Pub Street.
Quelle: TAZ, 23.02.14, „Die Horden von Ankor“
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