INCREDIBLE INDIA PART I
Eine passende Überschrift wie ich finde! Die vielen Wortdeutungen dürften facettenreich genug sein den Subkontinent zu beschreiben.
Eine der Übersetzungen trifft auch sicher auf die Überraschung zu, die ich bei der Beantragung meines Visums erlebte. Im November wollte ich allein mit meiner Kamera nach Pushkar und Varanasi und gemeinsam wollten wir, ich und mein Besserich, im Dezember Agra besuchen und auf Tiger(foto)jagt in den Nationalparks gehen.
Meine Schuld, dass ich mich nicht schon im Vorfeld genauestens nach den Einreisebedingungen erkundigt hatte. Auf der Seite von „Cox and Kings“, dem outgecourcten Visadienst der indischen Botschaft heißt es: Personen, die Indien als Touristen besuchen oder Freunde und Verwandte treffen wollen, erhalten ein Touristenvisum mit sechs Monaten Gültigkeit. Touristenvisa können weder verlängert noch umgewandelt werden. Ein zweimonatiger Zeitabstand vor der nächsten Einreise ist immer zwingend erforderlich. Vermutlich will die indische Regierung mit dieser Massnahme verhindern, dass sich Ausländer allzu sehr Darmkeimen, Fekalstreptokokken, Salmonellen oder der unbeschreiblichen Verschmutzung aussetzen. Wenn Willkür und Schwachsinn gemeinsam eine Regelung erlassen, dann ist diese nicht zwingend für den gemeinen Bürger zu verstehen. Es kam wie wir befürchteten. Die freundliche Dame hinter dem Abfertigungstresen bei Cox and Kings in Berlin schüttelte den Kopf und beantwortete jede Nachfrage mit einem energischen „NEIN“ oder „Keine Ausnahme möglich!“ Die Situation die uns nun Sorgen bereitete war die, dass die Novemberreise vollständig bezahlt und die Dezembereise angezahlt und die Flüge gebucht waren. Das Risiko war, eine der beiden Reisen nicht antreten zu können und da Geld zu verbrennen.
Der Visaregelung folgend vollzog ich eine Metamorphose zum Geschäftsmann, besorgte mir ein Entsendeschreiben sowie die entsprechende Einladung und erhielt problemlos ein Business Visa gültig für sechs Monate und beliebiger multipler Einreise.
19.11.2012
Eingecheckt und sicherheitskontrolliert warte ich, dass die Lufthansa mich aus dem Novembernebel fliegt.
Doch genau dieser Nebel ist das Problem. „ Sehr geehrte Fluggäste, auf Grund der verspäteten Ankunft der Maschine, wird sich das Boarding um 15 Minuten verzögern“ Wie soll da gehen, denke ich, denn es sind jetzt schon 20 Minuten über der geplanten Boardingzeit und die Maschine ist noch nicht einmal da?
Bis alle ausgestiegen und die Maschine für den Rückflug vorbereitet ist können durchaus auch noch einmal dreissig Minuten vergehen. Genau 59 Minuten nach der geplanten Abflugzeit sind es, als sich die Räder des Flugzeugs von der Startbahn lösen. Der Kapitän erklärt abgeklärt und mit sonorer Stimme, dass wegen des dichten Nebels der gesamte Flugplan durcheinandergeraten ist und versichert, das alle ihre Anschlussflüge erreichen werden, wenn wir nicht noch eine Warteschleife fliegen müssen.
Eine Stunde fliegen wir Warteschleifen, bevor die automatische Landung bei einer Sichtweite von einhundert Metern erfolgen kann. An meinem Anschlussflieger der Quatar Airways, rollen wir auf dem Weg zu unserem Gate noch vorbei. Doch als ich rennend nach zehn Minuten dort ankomme ist Gate H 28 leer. Ich renne zurück zum Servicedesk der Lufthansa und traue meinen Augen nicht. Etwa achtzig Gestrandete stehen dort in einer dreissig Meter langen Linie vor mir. Ein Umbuchen von Flügen ist ja nun auch keine Sache von wenigen Minuten. Nach vierzig Minuten bin ich dran und viel später hätte es auch nicht sein dürfen. Ich und mein Gepäck fliegen nun über Istanbul nach Dehli.
20.11.2012 Eine Stunde später als geplant komme ich in Dehli an, finde sofort meinen Fahrer und wir fahren zu einer nahegelegenen Station wo ich um 6:56 am in den Zug nach Ajimer zusteigen kann.
Es ist noch dunkel als wir durch Dehli fahren. Die Rollläden der Geschäfte, entlang der Stassen sind noch geschlossen wie müde Augenlieder. Gespenstisch tanzen in der Dunkelheit die Lichtkegel der Autos durch den aufgewirbelten Staub der Stassen.
Schweine rennen auf dem Gehsteig und trotzdem es noch nicht dämmert herrscht schon überall reges Treiben.
Ich stehe auf dem Bahnsteig einer Station, dessen Namen ich nicht kenne. Langsam kommt ein Pendlerzug angerollt. Total überfüllt. Der Fahrgastwechsel findet nicht nur am Bahnsteig statt sondern auch von der anderen Seite des Zuges aus dem Gleisbett. Als der Zug laut hupend in der Ferne verschwindet, rast aus der Gegenrichtung ein Express mit ohrenbetäubenden Hupen durch den Bahnhof und lässt alles in einer Schleppe aus Staub zurück. Ich habe sechsundzwanzig Wagen gezählt! Dann kommt mein Zug. Als wir den Bahnhof verlassen versucht die aufgehende Sonne den Smog zu durchbrechen und taucht alles in Orange. Der Zug zieht vorbei an ehemaligen Feldern auf denen heute Armierungsstähle aus dem Boden wachsen, für die neu entstehenden Wohnanlagen der wachsenden indischen Mittelschicht. Nach einiger Zeit bekommen alle ein Essen in der Assiette. Zuerst denke ich: „Was soll ich mit dem Schlangenfrass?“ Aber nur bis mein Nachbar sich über sine Mahlzeit hermacht. Es riecht wirklich sehr verlockend. Zwei fluffige Frikadellen artige frittierte Batzen mit etwas Reis und Pfannengemüse. Ich habe nichts übriggelassen!
Pünktlich um 12:40 pm kommt der Zug im Bahnhof von Ajimer an, doch in dem Gewimmel vor dem Bahnhof dauert es gute vierzig Minuten bis ich meinen Fahrer finde. Wir fahren los und dann ist es wieder da. Dieses unverwechselbare Asiengefühl. Die einzigartige Mischung aus Qualm, Abgasen, Müll, den „architektonisch anspruchsvollen“ Betongiessereien und dem unablässigen Hupen.
Wir schlängeln uns über die Serpentinenstrasse über die Bergkette die Pushkar von Ajimer trennt. Vorbei an alten Wasserstationen für Kamelkarawanen und einem kleinen Tempel an dem die Affen turnen. Bei wirklich jedem Überholmanöver denke ich: „ Das war aber knapp“.
Pushkar ist eine der bedeutendsten Pilgerstätten Indiens. Nicht weniger als vierhundert Tempel und zweiundfünfzig Ghats am Lotossee zeugen von der Bedeutung dieses Ortes. Die Pilger vollziehen ihre Rituale in dem festen Glauben, sich damit von den Sünden ihres Lebens reinzuwaschen. Sie tauchen unter im Wasser. Sie reinigen sich, spülen Mund und Zähne, gurgeln oft lange mit dem heiligen Wasser. Das bei tausenden Pilgern niemand krank wird ist wohl der Beleg dafür, dass das Wasser des Lotossees heilig ist. Mit Sicherheit waren es zehn Emails zwischen dem Aroma Hotel in Puskar und mir, wobei es manchmal Wochen dauerte bis der nette Angestellt des Aroma Hotels antwortete.
Er versicherte mir zwar ein Zimmer für mich reserviert zu haben, sendete mir aber keine Reservierungsbestätigung. Es ist in Indien nicht unüblich gebuchte Zimmer einfach an jemand anderes zu vermieten, welcher unter Umständen auch noch bereit ist mehr zu zahlen. Während der Puskar Fair, wenn die Stadt aus allen Nähten platzt, wollte ich nicht riskieren nach der langen Anreise im Foyer oder gar auf der Straße zu campieren. Zähneknirschend buchte ich das dekadente und überteuerte „Rajasthan Royal Desert Camp“, sowie die Zugverbindungen und mein Wunschhotel in Varanasi über MAYA TRAVEL.
Das „Royal Desert Camp“ ist eine Anlage mit großzügigen Zelten, die auch über Toilette, Dusche und elektrisches Licht verfügen. Das TucTuc bei dem ersten Ausflug in die Stadt kostet mich jedoch 500 RP, was in etwa das Dreifache von dem sein sollte, was diese drei Kilometer lange Fahr sonst üblicher Weise kostet. Noch während der Fahrt springt jemand vorne in das TucTuc. Es einer der Holy Häscher auf der Jagt nach Touristen-Frischfleisch und ich bin das ahnungslose und perplexe Opfer. Ich werde mit hinunter zum Lotus See gelotst und muss unter Anleitung ein Gebet sprechen, welches zusammen mit einer „Charity“ Spende mein Karma verbessern soll. Diese Dienstleistung am Menschen soll mich dann 500 RP kosten. Ich zahle 50 und werde mit einem schlechten Karma bestraft, wie sich im Verlauf der Reise herausstellen wird. Ich laufe etwas durch die Stadt, welche eine beträchtliche Touristendichte aufweist. Doch noch gibt es genügend Zimmer in Preislagen zwischen 1000 RP und 15 000 RP. Die Tent Camps halte ich für überteuert und für Individualtouristen und ambitionierte Fotografen zu abgelegen. Als sich die Sonne dem Horizont nähert gehe ich rüber zur Mela finde aber zunächst nicht den richtigen Weg und laufe einen riesigen Umweg, so dass ich noch gerade rechtzeitig ankomme um ein Erinnerungsbild zu machen. Das Buffet am Abend trifft nicht so ganz meinen Geschmack und so bin ich im 8 pm im Bett.
21.11.2012 Kurz vor 6 am stehe ich auf und laufe zur Mela, dem Kamelmarkt. Im Preis von 140 € ist zwar auch ein kostenloser Kamelkarrenshuttle enthalten, der ist aber so früh noch nicht unterwegs. Wenn ich vor Sonnenaufgang zum Fotografieren losziehe bin ich meistens der Exot, der Kopfschütteln erntet. Hier jedoch laufe ich mit sechs Gleichgesinnten im Dunkeln den staubigen Weg.
Einmal im Jahr, zum Herbstvollmond, sammeln sich tausende Bauern der Stämme Rajastans, mit ihren Kamelen; Pferden und Ziegen zum religiösen Viehmarkt und feiern das Vollmond-Fest mit traditionellen Gesängen und Tänzen. Oft sind sie tagelang unterwegs bis sie Pushkar erreichen. Auf Planwagen, Kamel – und Büffelkarren, Bauchläden oder auf dem Rücken haben sie alle ihre Habseligkeiten, Waren, Bühnendekorationen und Buden verstaut. Ob Bauern, Pilger, Heilige Männer, Händler, Schausteller, Musikanten, Zigeunersippen, Schaulustige und Bettler, alle Gesichter strahlen voller Erwartung. Im aufgewirbelten Wüstenstaub vor der Kulisse der angrenzenden Berge werden Garküchen, Zuckerrohrpressen, Riesenräder, Karussells und manchmal auch ein Freiluftkino aufgebaut. Soweit das Auge reicht, sieht man während der Mela auf den umgebenden Sanddünen die Kamele, die Lasttiere der Wüste. Einige Kamele sind geschmückt, anderen haben die Besitzer gar ein Muster ins Fell geschoren.
Wenn man Glück hat wird man Zeuge eines der Kamelrennen in der Stadt.
Zu dieser Zeit quillt Pushkar über von Farben, von Geräuschen und von Menschen. Nirgendwo spürt man den Geist Rajastans intensiver.
Doch es wird nicht nur zur bloßen Bereicherung gehandelt sondern ein Teil des Erlöses in einem der Tempel am Sarovar Lake gespendet.
Leider habe ich das einzige und sehr kurze Kamelrennen verpasst und ich habe mich auch noch in den vielen staubigen Strassen am Rande der Stadt total verlaufen. Zum Mittag fahre ich wieder zurück in das „rundum sorglos Camp“, um zu duschen, auszuruhen und ein paar Nudeln reinzuschaufeln. Auf dem Weg dorthin sehe ich ein Fohlen, welches eigenartig verrenkt am Wegrand liegt. Kann nicht sagen ob es noch lebt oder schon tot ist? Gegen halb zwei fahre ich mit dem Kamelkarrenpendel wider runter zur Mela. Kamele scheinen etwas eigenwilliger zu sein als Pferde oder Ochsen. Als Ashok auf den teils abgegrenzten Weg für die Kamele abbiegen will, wo schon andere Kamelkarren entgegen kommen will das Kamel dies nicht. Mit Gewalt zwingt Ashok das Kamel und den Wagen auf diesen Weg. Doch viel zu spät. Als ich nach vorne zwischen Kamel und Wagen schaue, sehe ich noch die Koffer großen Felssteine der Wegbegrenzung unter dem Wagen auf der Spur des Rades verschwinden. Im Angesicht des kommenden Stosses klammere ich mich fest, doch da passiert es schon. Es gibt einen gewaltigen Stoss und für Sekunden fahren wir nur auf einem Rad, während der Wagen mit samt Kamel zu kippen droht. Mit Sicherheit war es das gute Karma von Ashok – wir sind nicht umgekippt – nicht mit dem Rückrad auf einen Stein geschlagen und auch nicht vom Spriegel des Wagens erschlagen worden. Vom Ende des Kamelkarrenpendels muss ich dann immer noch einmal zwei Kilometer bis zum Lotossee laufen und ich habe Mühe mich in den engen Gassen zurechtzufinden. Das Sun-Set Café und Hotel Puskars Inn, etwas abseits des Trubels mit Blick auf den Lotossee ist mein Tipp zum chillen.
Am heutigen Abend findet am Lotossee ein hinduistisches Fest statt, für das ich die Kamele sausen lasse. Tausende Gläubige schmücken das Ufer mit Blumen und Kerzen, singen zusammen und sprechen Gebete. Die Stimmung ist einzigartig, der Moment unvergesslich, als bei Einbruch der Dunkelheit Kerzen auch auf dem See schwimmen und alles in ein mystisches Licht getaucht ist. Bläulich beleuchtet der Mond die Wüstenlandschaft als ich mit dem Kamelkarren von der Stadt zurück zum Tent Camp fahre. Das Pferd ist tot.
22.11.2012 Wieder mache ich mich um kurz vor sechs auf, den zwei Kilometer langen Weg zur Mela zu bewältigen. Der Fahrer eines Jeep, in Indien heisst er ja Mahindra, nimmt mich mit. Dadurch bin ich schon vor dem Morgengrauen auf der Mela. Ich habe noch nirgends auf der Welt so viele semiprofessionelle Fotografen gesehen. Auch Profis sind darunter. Beim Teetrinken an einem der Stände komme ich zum Beispiel mit einem Fotografen aus Indien ins Gespräch, der für ASSOCIATED PRESS arbeitet. Es ist offensichtlich, dass die Pushkar Mela für die Einheimischen schon lange ein wichtiger touristischer Faktor geworden ist. So gibt es natürlich auch den üblichen Andenken – Nippes in Unmengen. Einer der Händler beschwert sich darüber, dass so wenig Touristen da sind und die Geschäfte schlecht laufen. Andere sprechen mich jedes Mal aufs Neue an und folgen mir über hundert Meter um mich an ihren Stand zu locken. Auf der Mela und in Pushkar gibt es jedoch solch eine Unmenge an Ständen und Händlern, dass auf einen Touristen ein Souvenirhändler kommt. Zwischen 11 am und 1 pm mache ich Siesta im Camp und schaufele mir wieder einen Berg Nudeln rein.
Dann fahre ich mit dem Kamelkarrenpendel wieder Richtung Stadt. Der Kutscher schmeisst mit Steinen nach einem Hund, der um seinen Wagen schnüffelt. Wenn er Hindu ist warum tut er das dann? Riskiert er damit nicht selbst ein schlechtes Karma? Zu dem toten Pferd ist hundert Meter weiter jetzt noch ein totes Kamel hinzugekommen.
In Pushkar am Lotus See zu fotografieren ist etwas schwierig. Ein Fotografierverbot wird von Polizisten und den wachsamen Augen der Einheimischen rigoros durchgesetzt. Es heisst also gut vorbereitet und schnell zu sein.
„Pushkar is a quiet nice place…“ schreibt jemand, der im Internetshop neben mir sitzt, seinem Bekannten. Sitzen wir im gleichen Raum und sind doch in verschiedenen Städten – oder gar Ländern? Der allgegenwärtige Müll, der Verfall der Bausubstanz sowie Armut und Elend sind doch nicht zu übersehen! Meine Übersetzung von „quite nice“ ist in jedem Fall eine andere. Nach dem ich am Lotus See ein paar forbidden pictures gemacht habe chille ich noch etwas im Sun-SetCafé ab. Auf dem Weg zur Mela will ich noch den einzigen Brahma Tempel Indiens aus dem 14. Jahrhundert besichtigen. Doch davor windet sich eine elend lange Menschenschlange die Stufen herunter und die Strasse entlang. Würde ich mich hier anstellen würde ich es nicht mehr rechtzeitig zum Abendlich auf die Mela schaffen und so verschiebe ich die Besichtigung.
Auf der Mela treffe ich neben hunderten Fotografen auch auf eine Gruppe „betreuten Fotografierens“. Unter Anleitung eines Alphafotografen machen dort die Teilnehmer ihre „individuellen ideefreien und unkreativen“ Bilder. Das mutet schon irgendwie eigenartig an. Spätestens an dieser Stelle beginne ich die Erzeugung von Milliarden Dateien auch für mich selbst in Frage zu stellen. Gerne hätte ich noch die illuminierten Riesenräder gesehen und warte noch bis zum Eindruck der Dunkelheit. Leider sind diese auch heute nicht beleuchtet und nur eines in Betrieb. Den letzten Kamelkarrenshuttle habe ich dadurch verpasst, so dass ich die zwei Kilometer bis zum Tent Camp wieder laufen muss. Unterwegs komme ich wieder am Pferd vorbei, an dem sich jetzt die Hunde laben und der Geruch der Verwesung ist bereits intensiv.
Im Camp angekommen eile ich in mein Stoffhaus mache mich frisch und eile zum Buffet. Ich hebe jeden einzelnen Deckel der Tiegel und lasse sie sanft wieder hinunter. Nichts was mich auch nur wenigsten optisch angesprochen hätte. In einem Tiegel war etwas, dass aussah wie Spaghetti Bolognese. Die Spaghetti waren jedoch nur zu erahnen und die Fleischsosse sah aus wie heissgemachte Büffelscheisse.
Eigentlich sah alles aus wie Büffelscheisse.
Ich gehe wieder ins Stoffhaus und mache mich über mein Studentenfutter her.
23.11.2012
Mitgenommen werde ich heute von einem Motorrad. Er will wissen ob er mich morgen wieder abholen kann als ich ihm 50 RP in die Hand drücke und so verabreden wir uns für morgen früh. Der Kamelkarrenpendelfahrer der mich am Mittag zurückgefahren hat, würdigte mich dagegen mit beleidigter Mine keines Blickes, als ich ihm 20 RP für einen Service gebe, der schon bezahlt ist. Komisch hier irgendwie. Ich latsche nun zum Brahma Tempel. Doch der Eintritt mit (Foto) Rucksack ist nicht gestattet. Auch hier wird die Einhaltung der Vorschriften durch mehrere Polizisten überwacht. Überhaupt fällt mir bei jeder Gelegenheit die massive Präsenz bewaffneter Polizisten allerorten auf. So bleibt mir der Zugang auch heute verwehrt was mich jedoch nicht wirklich traurig stimmt. Interessanter ist es da schon im Café „The Laughing Buddha“ drei Orangentee zu trinken und den Geschichten anderer Globetrotter über den Rattentempel in Nawalgarh bei Bikaner zu lauschen, wo die Einheimischen mit Ratten aus einer gemeinsamen Schüssel essen. Als ich gehe ist die Strasse gerade von einem LKW versperrt der aus einem Hof einige Rinder und einen Ochsen abholen will. Vom Dach eines Hauses schaue ich der Aktion interessiert zu. Natürlich wird das so gemacht, dass es schiefgeht. Die Kühe wollen keineswegs in den LKW. Auch nicht als man mit brutaler Gewalt mit Stöcken auf sie einprügelt. Dabei wird auch gezielt auf den Kopf eingeschlagen und die Augen getroffen, was ich schon sehr befremdlich finde. Es dauert nicht lange bis die Rinder das geschlossene Eisentor des Hofes einfach durchbrechen. Gute zwanzig Minuten braucht die Fraktion der Tierquäler bis die geprügelten Rinder mit aller Gewalt auf den LKW verfrachtet wurden.
Am Nachmittag schlendere ich über die Mela. Ich habe genug Zeit mir das Treiben in Ruhe anzusehen. Männer interessieren sich für eiserne Pflugscharen und andere Ackerbaugeräte, handeln mit Zug-oder Michtieren. Danach schlürfen sie in provisorischen Teestuben süßen Milchtee oder tauschen bei einer Wasserpfeife (Hukha) neu gewonnene Erfahrungen aus. Freunde und Verwandte aus weit entlegenen Dörfern treffen einander, Neuigkeiten machen die Runde. Man schmiedet auch Heiratspläne. In Indien lernt man seinen Partner niemals einfach so kennen. Es bedarf immer der Vermittlung durch eine dritte Person oder die Eltern. Auf der Mela gibt es auch Tätowierer die Hänna Muster auf Hände und Arme oder Unterschenkel und Füsse malen, was wirklich irgendwie cool aussieht.
Die Riesenräder und die Karussells sind heute, an meinem letzten Abend, immer noch nicht alle in Betrieb und auch nicht beleuchtet. So erwische ich wenigstens einen der letzten Kamelkarrenpendel, bin pünktlich in der Stoffburg und schaufele mir einen riesigen Berg vegetarische Nudeln rein.
24.11.2012 Tatsächlich, der Motorradfahrer holt mich ab und bringt mir sogar frankierte Postkarten mit. Soviel Service belohne ich auch gerne. Bis 9:00 am habe ich noch Zeit mich auf der Mela rumzutreiben. Dann fahre ich mit dem Kamelkarrenpendel ein letztes Mal den staubigen Weg zum Tent Camp. „Chocolate, sweets, ten Rupis, shampoo, pen“ wie ein Mantra leiert der kleine Junge immer die gleichen Worte herunter. Seit fünfhundert Metern bereits läuft er in der Hitze der Wüste dem Kamelkarren hinterher. Das tun alle Kinder, die mit ihren Familien jenseits des staubigen Weges zu den Touristencamps auf dem Wüstensand wohnen. Eine Hütte aus Geäst, Pappe und Blech. Ein Zaun aus Dornengestüpp. Acht Kinder habe ich dort um die Hütte gezählt. Abrupt bleibt er stehen, dreht sich um und wartet auf den nächste Kamelkarrenpendel beladen mit feisten Touristen. Geboren um zu betteln.
Für mich geht die Reise weiter zum Bahnhof in Aijmer. Auf dem Weg dorthin fallen mir mehrere Tempel, eine Festungsanlage und prachtvolle Fassaden ins Auge. Irgendwer muss das doch mal alles errichtet haben. Warum versucht man dann nicht wenigstens es irgendwie zu erhalten? Alles ist runtergekommen und von Buden und Ziegelhütten zugebaut. Als Kulisse für einen Endzeitfilm eignet sich Aijmer dafür jedoch bestens.
Auf dem Bahnhof habe ich bis zur Abfahrt meines Zuges zwei Stunden Zeit. Das ist in jedem Fall interessanter als im „Royal Desert Camp“ rumzuschimmeln. Da stopfen die Inder ihre Koffer, Kisten und Taschen in den Durchleuchtungsapparat, während eine Polizistin sie anschreit, sie sollten es doch nacheinander tun. Auf der anderen Seite drängeln sie, ihr Zeug wieder herauszuzerren, statt zu warten bis mein Rucksack wenigsten vom Band ist. Kinder sprechen mich auf Geheiss Ihrer Eltern an ein Foto von ihnen zu machen. Währen ich mein Reisetagebuch schreibe schlurft eine Kuh an mir vorbei und ohne aufzuschauen frage ich mich: „Wie ist die durch die Kontrolle auf den Bahnsteig gekommen?“
Als ich über die Überführung zu meinem Zug gehe, haut mir von hinten auf den Rucksack. Ich fahre herum und ein kleiner älterer Mann fragt mich wo ich hin will. „Puskar?“ Ne! Wenn ich zum Bahnsteige gehe sicher nicht. „Varanasi“ antworte ich ohne zu wissen, dass dies nur das Ablenkungsmanöver war als mir meine Sweetjacke hinten aus dem Rucksack gezogen wurde. Glücklicherweise ist die Klimaanlage im Zug nicht so kalt, so dass es auch mit dem Pullover geht. Im Zug teile ich das Abteil mit einer indischen Familie. Die Söhne versuchen ein Gespräch vom Zaun zu brechen aber ich bin wegen der geklauten Jacke nicht wirklich in small talk Stimmung und wimmele sie ab. Kurz hinter Ajimer passieren wir wieder die Baustelle einer riesigen Autobahnbrücke. Als wir auf der Hinfahrt die Baustelle passierten, hatten sie gerade riesige Betonträger aufgelegt und ich dachte:“…unglaublich wie die hier dort oben diese tonneschweren Betonträger fixieren. Sieht irgendwie anders aus als in Europa und nicht so als würde es halten wenn einer dieser Träger mal ins Kippen kommt. Tut es auch nicht:
Als wir an diesem Tag die Brücke passieren hat sich eine Schlange aus etwa zwanzig Lastwagen gebildet die auf die Baustelle wollen. Der Träger den ich auf der Hinfahrt betrachtete war ins Kippen gekommen und auf das Fahrerhaus eines Betonmischers gestürzt. Wie das im Ergebnis aussieht, wenn ein zwanzig Tonnen schwerer Betonträger aus zehn Meter Höhe auf das Fahrerhaus eines LKWs fällt kann sich wohl jeder gut vorstellen.
Im Verlauf der Fahrt kann ich mir meine Schlafpritsche in ganzer Länge erobern, finde aber nicht so recht Ruhe, da ich mir jetzt dauernd Sorgen um meine Fotoausrüstung mache. Dann kommt das Essen, welches ich versehentlich bestellte. Ich bin davon ausgegangen dass es so lecker ist wie das während der ersten Zugfahrt und das es ebenfalls im Preis inkludiert sei. Irrtum! Es kostet 50 RP und schmeckt als würde man 500 RP bekommen, wenn man es schafft es aufzuessen. Ich habe es nicht geschafft! Ich beschliesse die Zugfahrt auf die einzig sinnvolle Weise zu verbringen und zu schlafen. In Jaipur tauscht sich die eine Familie gegen eine Familie aus, die mehr Angehörige, mehr Koffer und Kisten und einen Schreigenerator dabei hat. Nach zwanzig Minuten sieht es im Abteil wie in einem Güterwagen aus. Um mein Gepäck brauche ich mir nun keine Sorgen mehr zu machen, da kommt niemand mehr ran ohne den gesamten Wagon auszuräumen. So eine grosse indische Familie hat auch immer etwa zu erzählen oder schaut einfach mal rein wenn das Kind wieder einmal schreit. Irgendwie stehle ich mir dann aber doch ein oder zwei Stunden Schlaf zusammen. Um 5:00 am rollt der Zug langsam in Mughal Sarai ein. Wirklich schneller sind die Züge nach der Abschaffung der letzten Dampflokomotiven Mitte der 90er Jahre in Indien auch nicht geworden. Dieser Zug hat es auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 68,5 km/h gebracht. Im Dunkeln suche ich auf dem Bahnsteig irgendwo eine Toilette und finde sie am Ende des Bahnsteigs. Geschlossen! Also gehe ich rüber zu einem anderen Bahnsteig. Frage mich durch. Endlich. Am Ende des anderen Bahnsteigs finde ich die sie. Es ist eine Toilette, welche am Eingang zwei Kassierer hat, was darauf schliessen lässt, dass diese Toilette für indische Verhältnisse wenigstens einigermassen sauber ist. Die einzige offen Kabine ist jedoch inklusive Fussboden derart zugeschissen, das nur ein Napalmeinsatz mit anschliessenden Abriss des gesamten Gebäudes helfen würde. So ist der Abfluss der Dusche in der anderen Kabine mein einziger Ausweg. Auf der Fahrt nach Varanasi wünsche ich mir die Scheiben des Autos wären mit schwarzer undurchsichtiger Folie zugeklebt. „German good – Mercedes very strong car….. but very expensive“. „Pipteen yers ago, I have Opel Record“ erzählt der Fahrer.
„Opel – verry good – but problems wit bad roads in India. “ Wen wundert es. Eine Strasse sehe ich nicht. Ich sehe nur von Asphaltresten eingerahmte Löcher und LKWs die frontal auf uns zu fahren. Im Vergleich zu Varanasi ist Pushkar ein Hort der Ruhe und Ordnung. Somit war das „Rashmi Guest House“ für mich schon immer erste Wahl. Hoch über dem Ganges direkt an den Ghats kann man die Strassen der Stadt weitgehend meiden und sich dem Lärm und dem Dreck zumindest teilweise entziehen. Während ich auf mein Zimmer warte, speise ich einen Pancake mit Früchten und trinke zwei Kannen Tee. Danach, was soll ich sonst tun, erkunde ich die sagenhaften Ghats. Kuhscheisse, menschliche Exkremente und Müll überall! Am Nachmittag gehe ich zum Manikarnika Cremation Ghat. Dort werde ich von zwei Jungs angesprochen die mir für 500 RP pro Foto ein Permit verkaufen wollen. Das will ich nicht, zu mal die angebotenen Fotostellen von denen vorgegeben werden und wenig attraktiv sind. Ich werde die Clique aber nicht mehr los. Am Ende sind es auch noch zwei die hinter mir her schleichen. Nun durch aggressivstes Auftreten meinerseits lassen sie mich dann irgendwann ziehen. Dass sie mir inzwischen von hinten aus meinem Rucksack mein Voicerecorder und einige leichte Sache rausgezogen haben merke ich erst am nächsten Morgen. Das Observatorium, im 18. Jahrhundert von Raja Jai Singh erbaut ist heute ein leerer und schlecht gepflegter Steintorso, für dessen Besichtigung man 100 RP zahlt. Besichtigen tue ich ihn nicht, jedoch kann man vom Dach ein einigermassen Bild vom Sonnenuntergang machen.
26.11.2012 Purpur färbt sich der Himmel als die Sonne noch lange nicht zu sehen ist. Jetzt, in dieser Stunde am Morgen kann man noch hören wie die kleinen Wellen des Ganges gegen die Stufen der Ghats schwappen. Leise Stimmen sind von den Pilgern zu vernehmen, die jetzt schon oder immer noch am Gangesufer beten. Als besonders erstrebenswert gilt es für strenggläubige Hindus, in Varanasi im Ganges zu baden sowie dort einmal zu sterben und verbrannt zu werden. Entlang des Flusses reiht sich Tempel dicht an dicht, führen die Stufen in das heilige Wasser. Hier reinigen sich die Pilger von ihren Sünden, während in Sichtweite die Verbrennungen zelebriert werden und die Asche der Verstorbenen den Fluten des Ganges übergeben werden. Viele pilgern greis und krank hier her und warten auf den Tod, denn nur an diesem Ort können sie den Sankrit durchbrechen. Hindus werden in Kasten hineingeboren und glauben, dass sich jedes Leben in einem Kreislauf befindet. Nur durch gutes Karma kann man in der evolutionären und sozialen Hierarchie aufsteigen. Es ist der Lebenshauch der jedem Lebewesen inne wohnt und der beim Tod weitergegeben wird. Dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt kann man nur entfliehen, wenn die Seele in einem menschlichen Körper wohnt. Dann kann das ewige Seelenheil, auch „moksha“ genannt, durch die Befreiung oder eben der Reinwaschung der Seele vom Karma geschehen und die Seele im Tod ins Nirvāṇa eingehen.
Während die Sonne die Szenerie am Fluss in goldenes Licht taucht, fällt mir Kashi wieder ein. Es ist der älteste Name Varanasis, den man mit Stadt des Lichts übersetzt. Dies ist der Moment in dem Varanasi in sein apokalyptisches Chaos erwacht, dass hier einfach nur Normalität ist. Varanasi, für Touristen die Stadt des Chaos, ist die Stadt des Gottes Shiva Vishwanat („Oberster Herr der Welt“) und eine der heiligsten Stätten des Hinduismus. Seit mehr als 2.500 Jahren pilgern Gläubige in die Stadt, die auch ein Zentrum traditioneller hinduistischer Kultur und Wissenschaft ist. Ich sitze jeden Tag stundenlang an den Ghats. Beobachte. Beten, waschen, baden, manchmal lassen sich die Pilger vorher noch die Haare schneiden. Jetzt kommen Leute die Opfergaben in das Wasser werfen. Papiere, Bücker, Gerahmte Bilder und eine Stück Tuch. Blasen steigen vom Grund auf. Ein altes fast verrottetes Stück Tuch steigt an die Oberfläche. Ein Sack Müll schwimmt vorbei. Drei junge Männer kommen die Stufen herunter. Jeder eine Tüte in der Hand. Darin Wasser in dem kleine Fische schwimmen. Die Fische kippen sie behutsam in die Fluten des Ganges. Die Plastiktüten werfen sie gleich hier unten an den Stufen des Ganges hin.
Inzwischen hat sich diese Seite des Flussen mit Booten gefüllt in denen Touristen wild knipsend die Szenerie auf ihren Speicherkarten verewigen.
Um 9:30 am gehe ich dann frühstücken. Nach der Mittagspause gehe ich durch die Strassen der Altstadt und komme auch am bei Backpackern berühmten „Blue Lassi Shop“ vorbei. Doch Joghurt gehört nicht zu meinen favotites und ich kehre nicht ein. Varanasi ist unglaublich, noch viel chaotischer als alle anderen Orte, die ich bisher gesehen habe. Ein Labyrinth aus knapp zwei Meter breiten Gassen. Motorräder fahren durch, Kühe stehen in den Gassen kauen auf Zeitungen herum. Tote Ratten liegen auf der Strasse, oben drüber toben kreischend die Affen. Ein Sadhu schläft auf dem Sims eines Hauses. Die Fenster und Eingänge nur schwarze Löcher. Das dumpfe Licht fällt keinen Meter weit in die Häuser. Die Altstadt ist ein einziger Haufen aus Tempeln, schmalen Gassen, baufälligen Häusern und Treppen. Immer tiefer tauche ich die Eingeweide der Stadt, finde aber, ich staune selbst, wieder hinaus. Am Manikarnika Cremation Ghat versuche ich mein Voicerecorder zurückzukaufen, was jedoch leider nicht klappt.
Dort am Tempel habe ich beim Anblick der vielen Kühe hier in den Strassen hier gar nicht bemerkt, dass die Kuh ein Stier ist. Der wollte mich dann gleich mal rammen und hat mir einen ganz schönen Hieb gegen den Rucksack verpasst.
Am Abend gehe ich zum Dewali Festival am Ufer des Ganges, welches genau in den vier Tagen an denen ich in Varanasi bin, stattfindet.
27.11.2012 Mit einem Tee in der Hand sitze am Ganges unterhalb des Dashashwamedh Ghat und warte auf den Sonneaufgang. Geniesse die morgendliche Ruhe, die in Kürze dem Lärm und Trubel des viertägigen Festes weichen wird. Als ich zurück zum Frühstück gehe liegt ein Bettler auf den Stufen der Ghats und schläft. Um seinen offenen Mund schwirren Fliegen. Ein Hund macht sich gerade über seine Essensreste her. Als ich frühstücke latscht eine Touristin, um die 50 immer auf der Dachterrasse hin und her. Gekleidet und bemalt wie eine Inderin. Schmuck um beide Fussgelenke. Jetzt latscht sie zum einhundertsten Mal an meinem Tisch vorbei und quatscht mich auch noch an. Ob das Hotel gut ist? Ob das Essen scharf ist? Ob ich Franzose bin? Nein bin ich nicht und ich bin auch kein peinlicher Möchtegerninder. Das üble Licht während der Mittagszeit nutze ich für einen Abstecher zur Polizeistation in Chwok. Will eine Anzeige, wegen meiner geklauten Sachen machen. Genauer gesagt brauch ich nur ein Formular für die Versicherung. Das Gebäude aus der frühen Zeit der Engländer. Ein schmiedeeisernes doppeltes Falltor ist der Eingang. Im Innern ein schäbiger Raum. Von den Wänden fällt der Putz. Die Möbel dreckig und verschlissen. Der Polizistin hinter dem Tresen fallen vor Langeweile die Augen zu. Ein Constabel, vielleicht 22 Jahre alt will von mir wissen was los ist. Ich schildere ihm den Vorfall. Erwirkt zynisch. Nein, er ist zynisch. Er will mit mir zum Manikarnika Cremation Ghat, wo es geschehen ist. Er kennt da alle. Alles seine Freunde! Wir laufen durch die Gassen zu den dem Ghat. Als wir ankommen flüchten drei Jungs. Er beginnt mit der Befragung der verbleibenen. Ja meine Beschreibung passt wohl auf zwei Leute und sie versprechen die Gegenstände wiederzubeschaffen. Ich bin irgendwie skeptisch. Wir gehen wieder zur Polizeistation. Der Chef der Polizeistation sitzt jetzt im Torbogen des Einganges. Ein Schäbiger Tisch. Der Stuhl auf dem ich sitzen muss droht zusammen zu brechen. Ein weisses Blatt Papier soll der Polizeireport werden. Ich bin irritiert. Der „big boss“ der Polizeistation diktiert mir was ich zu schreiben habe. Unter das handgeschriebene Papier drücken sie einen Stempel das war’s. Jetzt soll ich noch einmal mit dem Constabel und einem weiteren Polizisten runter zu den Ghats gehen. Wir gehen los. Der andere Polizist hat ein langes Plexiglasrohr mit schwarzen Stopfen dabei, ich denke mir nichts dabei. Ich habe mein Papier und einen Moment denke ich darüber nach sie in den Gassen einfach abzuhängen, sie hätten es erst bemerkt als ich über alle Berge gewesen wäre. Aber ich gehe mit. An den Ghats angekommen, versammeln sich etwa zwanzig undurchsichtige Gestalten. Ich soll wieder jemanden identifizieren. Einen erkenne ich wieder. Dieser wird dann von dem Polizisten befragt. Dabei hält der Befragte seine Hände leicht nach vorne und der Polizist schlägt mit voller Wucht mit dem Plexiglasrohr auf seine Handflächen ein, das ich denke es bricht ihm die Finger. Dann wird von der Gang ein anderer Junge vor den Augen der Polizisten so verprügelt, das er am Ende mit blutüberströmten Gesicht auf dem Boden liegt und irgend eine Art Anfall bekommt. Plötzlich steht jemand mit einem Notizbuch neben mir. Angeblich jemand vor der lokalen Presse. Ich soll die Geschichte der Presse erzählen. Ich sage ich hätte alles der Polizei erzählt und werde keine Auskünfte an sonst jemanden machen. Immer mehr Leute umringen mich. Nun werde ich bedrängt, dass die Geschichte so nicht ganz stimmt. Ich soll sogar vor allen sagen in welchem Hotel ich wohne und wie meine Zimmernummer lautet. Irgendwie eine sehr befremdliche Polizeiarbeit die wir auch dann nicht nachvollziehen können wenn wir um die Bedeutung des Kastensystems in Indien wissen. Irgendwann befreie ich mich aus dieser Situation und setze durch ins Hotel gehen zu können. Über insgesamt drei Stunden hat sich diese Aktion hingezogen. Am Nachmittag gehe ich noch einmal durch die Altstadt. Plötzlich eine Menschenschlange. Hunderte. Alle halten irgendwelche Dinge in der Hand. Einige kunstvoll geschmiedete Blechgefässe mit Wasser aus dem Ganges. Dann ein Tempel. Die Strasse aus der Gegenrichtung ist ebenfalls voller Menschen die am Tempel anstehen. Davor bewaffnete Polizisten. Alle wollen ihre Opfergaben segnen lassen. Am „Blue Lassi Shop“ komme ich nicht noch einmal vorbei obwohl ich versuche ihn wiederzufinden. In den labyrinthartigen Gassen der Altstadt von Varanasi findet man alles nur durch Zufall oder man wohnt dort. Am Abend gehe ich wieder runter zum Fest, sitze aber nur so auf den Stufen, wissend das dies mein letzter Abend in Varanasi sein wird. Als ich zurück zum Hotel gehe neigt sich das Fest dem Ende und hundert strömen schon wieder in die Strassen des Marktes und der Altstadt. Rechts und links der Strassen haben Händler ihre Stände ausgebreitet. In der Mitte der Strasse sitzen jetzt die Bettler, dicht an dicht. Frauen, Kinder, Geistliche, Greise. In notdürftig zusammen gezimmerten Holzkarren liegen Leprakranke, der Kopf auf die Brust gesunken, wie im Halbschlaf. Ab und zu kommen sie aus ihrem Dämmerzustand und recken kraftlos einen Armstummel in die vorbeiströmende Menge, in der Hoffnung irgendein Almosen zu empfangen. Hundert Meter weiter fahren mit Blaulicht und Polizeieskorte die Abgesandten der Stadt in einer Wagenkolonne weisser „Ambassador“ Fahrzeuge durch die geräumte Strasse und lassen die Szenerie im Staub zurück.
28.11.2012 Viel zu früh! Es ist erst halb sechs am Morgen. Vom Ufer des Ganges dringen schon die Stimmen tausender Menschen durch mein geschlossenes Fenster. Um sechs gehe ich los. Bin erstaunt. Seit gestern Abend scheint sich auf den Strassen nichts geändert zu haben. Es sind jetzt vor Sonneaufgang noch mehr Menschen auf den Beinen als gestern Abend. Heute ist der Tag des Dev – Divali Festes. In den vergangenen Tagen haben die Menschen sich selbst gefeiert. Heute ist der Höhepunkt des Festes. Sie feiern den Dev (Gott). Immer noch sind die Bettler auf der Strasse und recken hysterisch ihre Blechschalen in die Menge um etwas Reis, eine Münze oder gar einen Schein zu bekommen. Auf dem Hauptzugang zu den Ghats ist dann fast kein durchkommen mehr. Eine alte Frau, vielleicht ein Meter fünfzig gross, vielleicht fünfundvierzig Kilo schwer, versucht mich von hinten zur Seite zu schieben. Gedränge überall. Die Stufen runter zum Ganges sind voll. Menschen stehen an um im Wasser des Flusses ihre Waschungen und Gebete machen zu können. Dazwischen herumknipsende Touristen. Fast unmöglich heute hier ein Bild zu machen wie ich es im Kopf habe. Ich setze mich weiter unten auf die Stufen und trinke wie jeden Morgen hier einen Tee für 5 RP und warte das die Sonne aufgeht. Laufe dann weiter die Ghats hinunter wo es dann etwas ruhiger ist. „Boat Sir? Very cheep!“. „Postcards Sir?“. I´m free to help you Sir.“ Einige flüstern: „Hush? Die Sonne steigt über den Horizont und immer mehr Boote mit Touristen fahren dicht an den Ghats entlang um aus der Distanz die Szenerie an den Ghats zu fotografieren. Ich schlendere zurück Richtung Frühstück. Der letzte Tag einer Reise ist immer irgendwie ein unproduktiver Tag. Ob ich will oder nicht, die Reise ist zu Ende und ich vergammele die verbleibende Zeit. Hoch über dem Ganges, auf der Dachterrasse meines Hotels frühstücke ich. Von hier oben sieht man die viele Boote die den Ganges überqueren. Grosse und kleine Boote. Ruderboote und Motorboote. Alle bringen Menschen von der anderen Seite des Flusses zum Fest. Es sieht aus wie eine Massenflucht. Dort unten muss das Gedränge jetzt unerträglich sein. Ich beschliesse doch nicht noch einmal runter zu gehen. So schön Feste auch sein mögen, mein Bedarf an Menschenmassen ist vorerst gedeckt. Mein Flughafenshuttle ist schon um 12:30 pm da. Wegen des Dev-Deval Festes, ist der Bereich am Fluss für Kraftfahrzeuge gesperrt und ich darf einen Kilometer mit meinen beiden Rucksäcken übereinander gestapelt, zum Auto laufen. „Passiert das eigentlich nur mir?“ denke ich als ich mich um Rikschas, Menschen, Fahrräder, Autos oder Kühe herumschlängele. Als wir zum Flughafen fahren fragt er mich doch tatsächlich, ob er ein guter Fahrer ist! „I don’t know, I only drove a half hour with you“. Sage ich gelangweilt, doch er lässt nicht locker. „Yes even now your a good driver“ sage ich und denke; und trotzdem gebe ich dir kein Trinkgeld, weil du nur deinen Job machst und weil die blöde Frage mich einfach nur dazu verpflichten soll. Am Flughafen komme ich mit zwei Englisch Nativs ins Gespräch. Sie erzählen, dass der Flieger gestern zwei Stunden Verspätung hatte. Ich sage, dass mir das egal ist weil ich Dehli elf Stunden auf meinen Anschluss warten muss. Wir checken unser Gepäck ein und setzen uns in den Wartebereich von dem man auf das Flugfeld sehen kann. Unsere Maschine kommt an, die Passagiere steigen aus, unser Gepäck wird verladen, alles ganz normal. Nur das ich sehen kann wie Mechaniker am Triebwerk herumschrauben finde ich nicht so schön. Klar das an Flugzeugen auch mal was geschraubt werden muss. Aber ich sehe ungern wie an einem Flugzeug rumgefrickelt wird, mit dem ich gleich in luftiger Höhe schweben soll. Inzwischen ist es draussen dunkel geworden und zwei andere Flüge sind in nach Dehli gestartet. Darunter auch der, auf den ich versucht hatte umzubuchen. Man hatte mir davon abgeraten, denn wenn mal eine Maschine verspätet ist oder ausfällt gibt es keine Optionen mehr. Etwa um 6 pm heisst es einsteigen. Die Businesclass sitzt bereits in der Maschine und wir stehen an der Gangway an, als es heisst wir fliegen doch noch nicht los. Alles wieder in den Flughafen. Das Triebwerk wir zusammengeschraubt das Gepäck ausgeladen und die Maschine dunkel gemacht. Sechs Stunden nach der geplanten Abflugzeit. Keine Informationen. Die Passagiere beginnen zu meutern und wir bekommen nun jeder eine Flasche Wasser und später im Restaurant ein indisches Buffet. Gerüchteweise sickert nun durch, dass wir um 2:15 am mit einer Maschine aus Mumbai abgeholt werden. Leider verzögert sich die Abflugzeit dieser Maschine ebenfalls um fünfzehn Minuten. Mein Anschlussflug mit Quatar Airways startet von Dehli um 4:25 am und unsere Maschine aus Varanasi landet um 3:45 am. Es dauert gute zwanzig Minuten bis ich meinen Rucksack habe. Ich renne zum Quatar Airways Schalter. Die Maschine ist weg! Ich gehe zu Air India Schalter und hole mir die Bestätigung über die Verspätung von 11 Stunden 40 Minuten. Dann gehe ich wieder zum Schalter von Qatar, der jedoch erst wieder in einer halben Stunde öffnet. Die können mir keinen Flug geben, da Air India gegenüber der Quatar noch nicht bestätigt hat das es ein Problem gab und der Chef erst in einer halben Stunde kommt um sich dem Problem anzunehmen. Der Chef schickt mich jedoch auch nur wieder zu Air India zurück, da die ja das Problem verursacht hat, also muss sie es auch lösen. Die Air India schickt mich jedoch wieder zu Qatar. Die Quatar schickt mich zur Managerin von Air India an wieder einem anderen Schalter. Die schickt mich zu dem Schalter bei dem ich zu erst war und die vom Air India Schalter wollen mich wieder zu Qatar schicken. Ich protestiere, worauf man mich zum Air India Schalter am anderen Ende der Halle am Gate 8 schickt. Dort will man mich zu Quatar schicken. Jetzt ist meine Geduld erschöpft. Ich verlange mit der Botschaft zu telefonieren. Die Auskunft die ich dann dort bekomme ist jedoch ernüchternd. Wenn man günstige Tickets über eine Flugbörse gekauft hat, die nicht stornierbar, wandelbar oder umbuchbar sind, muss man damit rechnen, dass diese verfallen und man neue kaufen muss. Super! Was soll ich machen? Mir Flüge kaufen oder weiterpokern. Ich entscheide mich für Letzteres und gehe wieder zum Schalter der Air India am Gate 1. Nach mehrfachen Bitten und Drängen finde ich irgendwann zwei Mitarbeiter der Air India die mir anscheinend wirklich helfen wollen. Nach einer Stunde kommt einer der Mitarbeiter mit meinen Papieren von der Quatar Airways wieder und verspricht mir, dass ich morgen, also 24 Stunden später mit der gleichen Flugverbindung nach Hause fliegen kann. Ich erwidere, dass ich ja nichts in der Hand hätte, nur ein paar Coputerausdrucke und ein mündliches Versprechen, worauf ich unter die Papiere auch noch einen Stempel der Air India bekomme. Der Flughafen ist an den Eingängen mit bewaffneten Polizisten gesichert und ich frage wie ich morgen ohne Tickets auf den Flughafen kommen soll. Alles kein Problem, nur eben die Papiere vorzeigen. „You are sure, that I have no problems tomorrow to get into the airport?“ frage ich und er verspricht mir das es keine Probleme geben wird. Ich beleibe skeptisch, entschliesse mich dann aber nach sechs Stunden nervenaufreibenden Diskussionen mir bis morgen früh in der Nähe ein Hotel zu nehmen. 90 Euro für einen drei bis vier Sterne Hotel in einer Drecksgegend in der Nähe des Highway und des Flughafens, die merken echt nichts mehr. Ich lande in einem abgeranzten drei Sterne Schuppen in dem ich ein Zimmer auf 50 Euro runterhandele. Sitze auf dem Balkon und bin total mit den Nerven runter. Vor meinem Fenster die Elendsquartiere, davor die Autobahn, hinter mir die Einflugschneise. Auf dem Dach des einstöckigen Gebäudes vor mir wohnt eine Familie. Ihr Haus eine neun Quadratmeter kleine Ziegelhütte mit einem Bett darin, ein kleiner Schrank, eine Glühbirne die den Raum erhellt. Der Hof die blank gelaufene Betonfläche des Daches. Eimer Leitern und andere Gegenstände stehen herum. Wäsche hängt auf einer Leine aus Draht. Drei Kinder habe ich gezählt. „Wovon leben die?“ frage ich mich. Unter der Autobahntrasse schieben sich ganztägig die Autos im Stau voran. Vierundzwanzig Stunden Autolärm und Hupen. Minütlich landen und starten Flugzeugen. Wie absurd und bedeutungslos sind dagegen meine Probleme. Was wenn ich so leben müsste? Ich lege mich in das kuschelige Hotelbett, versuche etwas zu schlafen und wenn man lange genug im Bett liegt, dann schläft man auch irgendwann.
Nachts um eins fahre ich mit dem Taxi wieder zum Flughafen. Am Eingang des Terminals passiert genau dass, was ich befürchtete. Die Polizisten lassen mich ohne Ticket nicht hinein. Zumindest darf ich aber in die Besucher Lounge und kann dort mit einer Mitarbeiterin von Air India sprechen. Vier Mal dränge ich sie wieder und wieder beim Quatar Airways Schalter, den ich in einer Entfernung von nur vierzig Metern sehen kann, anzurufen. Dann nach einer dreiviertel Stunde holt mich endlich jemand von Quatar ab und ich darf in das Flughafengebäude. Zwanzig Minuten später halte ich ohne Zusatzkosten mein Ticket bis München in der Hand. Kann sich jemand meine Erleichterung vorstellen? Niemals über Doha fliegen! Der Flughafen hat keine Gates an denen die Flugzeuge stehen. Die Maschinen werden draußen auf der zuasphaltierten Wüste geparkt. Die Passagiere werden dann mit Bussen zum Terminal gefahren. In meinem Fall war der Bus vom Flugzeug bis zum Terminal achtzehn Minuten unterwegs. Dort muss ich durch die Kontrolle, zum nächsten Gate für den Anschlussflug laufen wo das Boarding erfolgt. Dann fährt der Bus wieder zehn Minuten über das Flugfeld zum Flugzeug. Beste Vorrausetzungen seinen Anschlussflug zu verpassen. Meine Anschlussmaschiene fliegt gleich mal eine Stunde später ab als es auf dem Ticket steht. Dadurch wird es in München wieder sehr knapp. Dank des herausragenden Services der Mitarbeiter der Lufthansa, die mir sofort ein Ticket ausgestellt haben und mich beim Check in vorgezogen haben, habe ich meinen Anschluss nach Berlin TXL auch noch bekommen. 48 Stunden nachdem ich das Hotel Varanasi verlassen habe bin ich wieder zu Hause!
Quellen: Bowker, John: Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen (Hinduismus)
APA GUIDES INDIA, APA PUBLICATIONS (H K) LIMITED, 1993
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