LOST WORLD
– was nicht im Reiseführer steht.
Kino ist seit über zehn Jahren wieder voll im Trend. Doch schon bald nach dem Kinoboom musste man feststellen, dass man gar nicht so viele neue Filme produzieren kann um alle Säle der Cinestars und Multiplexe zu füllen. Die sogenannten Blockbuster sind zu einem digitalanimierten Schwanzmessen der Effekte verkommen und so wird es mehr und mehr zum Glücksspiel einen guten Film zu sehen, der mehr zu bieten hat als beliebige Belanglosigkeit in schönen bunten Bildern. Gleichbleibende Qualität hat nur das Popcorn, das man bequem in Pärchensitzen sitzend, meist schon vor dem eigentlichen Film aufgegessen hat, was nur zum geringen Teil an der Gier liegt, sondern an dem Botenstoff den man dem Popcorn beimengt. Dieser Botenstoff befielt unserer linken Gehirnhälfte mit dem Arm sofort wieder in die Tüte zu greifen, wenn das Popcorn im Mund abgeliefert worden ist. Nun denn! Das Licht wird gedimmt und der Vorhang geht auf und man wird entführt in die makellose Welt der Werbung. Gemeinsam, in Erwartung eines schönen Kinoabends, erleben die Zuschauer die spektakulär gedrehten und auf das Kinopublikum abgestimmten Werbeclips, die durchaus zwanzig Minuten lang sein können. Das Beste – niemand zappt rum! Für alle die ihr Popcorn jetzt schon geleert haben oder sich noch nichts gönnten, kommt nun der Eismann. Danach weitere mindestens zehn Minuten Werbung – und dann ist es soweit! Pixar versieht Millionen Kinobesucher mit 3D Brillen und lässt sie staunen über einen cineastisches Meisterwerk aus Nullen und Einsen. Wie immer im all inklusive Paket. Spaß und Gags für die Kinder, tolle Bilder für Mama und für Papa ein Hauch Abenteuer. Die Botschaft, die Drehbuchautor Bob Peterson und Regisseur Pete Docter in den Film „Oben“ packten, war jedoch nicht beliebig und ging mir zusammen mit den animierten Bildern einer realen Landschaft nicht mehr aus dem Kopf. Was der Film mir vor Augen führte war nicht weniger als eine der möglichen Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und wie lautete die Antwort? Lebe deine Träume!
Venezuela – Land mit den unverwechselbaren Tepuis die für diesen Film die Kulisse bildeten. Der Angel Fall mit seiner abenteuerlichen Endeckungsgeschichte – das war als Reiseziel schon seit einiger Zeit in meinem Kopf. Doch nach diesem Film war es mehr als eine Idee.
Es war beschlossen.
Da Pauschalreisen nicht die von uns ausgesuchten Ziele in einer Kombination anbieten und fotografische Aspekte außer Acht lassen suchten wir nach einem Partner vor Ort, der uns beim Organisieren einer individuellen Tour behilflich sein sollte. Zu Beginn hatten wir uns nur auf einen Partner vor Ort beschränkt. Nachdem sich die Verhandlungen und Planungen jedoch sehr zäh und südamerikanisch gestalteten, befürchteten wir die Reiseplanung nicht rechtzeitig fertig zu bekommen. Nun mussten wir sieben Agenturen vor Ort anfragen. Nach (nur) fünf Monaten und 69 Emails stand die Tour. Mit BACKPACKER TOURS hatten wir unsere Planungsodyssee begonnen und zu guter letzt hatten wir uns dann doch für diesen Partner entschieden. So weit die Theorie…
17.09.2010 – Um fünf Uhr klingelt der Wecker. Das Frühstück besteht aus den Resten, die der Kühlschrank so hergibt. Irgendwie empfinden wir werder Vorfreude, noch Reiselust. Am Flughafen Tegel muß mein Fotoucksack wie immer zur Sprengstoffschnüffelstelle. Jedes Mal das gleiche Prozedere! Dann geht es endlich um 8:55 Uhr mit LH 177W, in einem Airbus von Berlin Tegel nach Frankfurt/M. und um 11:25 Uhr von Frankfurt weiter nach Caracas. Nach zehn Stunden Flugzeit landen wir um 15:10 Uhr in Caracas. Obwohl es gerade aufgehört hatte zu regnen, herrschen noch immer über 30 Grad. Auf dem Flughafen treffen wir Pieter, der uns die Tickets nach Puerto Ordaz gibt, mit uns Geld tauscht und uns beim einchecken nach Puerto Ordaz hilft. In einem der Shops kaufe ich mit mit meinem besten Schulspanisch ein Paket Zigaretten, jedoch behält die Dame ihren mißgelaunten Gesichtsausdruck bei und wickelt das Geschäft mit mir wortlos ab.
Um 18: 30 Uhr sollte eigentlich der Flug mit der Aserca Airlines 744 nach Puerto Ordaz starten. Doch am Gate tut sich nichts. Wir fragen nach. „Ja unten am Gate 5 geht der Flug“. Wir gehen runter. Der Flug steht zwar an der Tafel, aber die Flughafenangestellten sagen, der Flug geht vom oberen Gate. Wir laufen wieder hoch. Der Flug steht nicht mehr dran, aber man versichert uns, dass es das richtige Gate ist. Wie sich herausstellt ist es das richtige Gate und mit zwei Stunden Verspätung starten wir in einer DC 9-30, Baujahr 1982. Die Maschine unseres Vertrauens ist 28 Jahre alt und man sieht ihr dieses Alter auch leider deutlich an. Es ist bereits dunkel als wir starten. Unter uns entfernen sich die Lichter von Caracas. Vereinzelt sehen wir noch ein Haus oder ein Stück Straße, bis uns die Schwärze der Nacht verschluckt. Nur hin und wieder erhellen Blitze eines der vielen lokalen Gewittern den Himmel. In Puerto Ordaz empfängt uns Wolfgang. Er ist 66 Jahre alt, nicht mehr so gut zu Fuß, anscheinend aber noch gut im Bett. Seine Frau, die ihn begleitet, ist 30 Jahre und seine acht Monate alte Tochter ist auch dabei. In der Stadt kaufen wir noch schnell etwas Bier und Wasser, bevor wir die eineinhalb Stunden Fahrt nach Ciudad Bolivar zur Posada La Casita in Angriff nehmen. Der alterschwache Toyota Landcruiser vibriert wie ein Schwingschleifer, man kann nur schwer ein Wort wechseln und es stinkt nach Abgasen. Bei Tempo 120 ruft Wolfgang nach hinten: „Mach mir mal noch´n Bier auf“. Ich tue wie mir geheißen. Er: “ Alkohol ist hier kein Problem. Die wollten mal was einführen……so zum Blasen……..ha´m ´se dann aber nie genmacht. Pause. “ Hab´in den 30 Jahren die ich hier lebe, noch nie gehört, dass jemand zum Blutabnehmen musste. Wenn dich die Polizei anhält und du fällst aus dem Auto, dann haste den Alkoholtest nicht bestanden“ Er lacht und bekommt die Kurve der Autobahnabfahrt nur auf drei Reifen, während sich klappernd die Flaschen auf dem Armaturenbrett auf seiner Seite aufstapeln.
In der Posada La Casita angekommen, essen wir nur noch ein Sandwich und entschwinden nach fast 24 Stunden Reisezeit in unseren Bungalow und schlafen ein.
18.09.2010 – Zum Frühstück sind uns noch zwei Sandwichs vom Vortag geblieben. Wir werden zum Flughafen von Ciudad Bolivar gefahren. Zu unserem Erstaunen steht dort auch das Original Flugzeug mit dem Jimmy Angel 1939 auf dem Auyan-Tepui landete. Aber zum Auyan- Tepui später mehr. Unser Flugzeug, an diesem Morgen ist eine 5 sitzige Cessna 205, mit der wir nach Canaima fliegen. Mit Mühe bekommt der Pilot das Gepäck und seine fünf Passagiere unter. Wir sitzen wie die Sardinen in der Dose. Wenig später holpern wir über die Piste zum Start. Am Ende grenzt die Start- und Landebahn an eine Hauptverkehrsstraße, wo gerade ein Bus vorüber fährt und ich bringe mir noch einmal in Erinnerung, dass Fliegen statistisch viel sicherer als der Straßenverkehr ist. Aber es ist ohnehin zu spät für solche Überlegungen. Der Motor gibt alles und wir erheben uns über die wilden Müllkippen und die Barrios (der Begriff bezeichnet die Substädte zwischen Vorstadt und Slum. Es sind meist feste Häuser, die jedoch ohne Genehmigung gebaut und vorwiegend von indigener und schwarzer Bevölkerung bewohnt wird) von Ciudas Bolivar. Bis über dem Embalse Deguri Stausee ist der Flug so ruhig, dass ich denke : “ Könnte ich jeden Tag machen!“ Dann jedoch kommen die Wolken und auch die Berge mit ihren Aufwinden. Die kleine Maschine hüpft nun auf und ab und schaukelt dabei bis wir blaß sind. Gerade noch rechtzeitig können wir uns die Antikotzetabeltten einwerfen. Als wir in Canaima landen, startet gerade eine AN 2T. Wieder ein aeronautischer Saurier, der das Herz ewig Gestriger und Luftfahrtfreaks höher schlagen lässt. Im Camamiento Kavac, einer lieblosen Unterkunft, mit dem Charme einer Schlafstätte für Wanderarbeiter, in einer ungepflegten Anlage checken wir ein. Wir spazieren durch den Ort der wirklich gar nichts zu bieten hat, entdecken aber die Tapuy Lodge. Diese, in in einer parkähnlichen Anlage in indianischer Bauweise errichtete Lodge, hat eine exzellente Lage direckt an der Lagune. Allerdings ist die Übernachtung mit 100 Dollar pro Nacht und pro Person inklusive der Mahlzeiten nicht gerade günstig. Es gibt jedoch noch die Waku, die Ukaima und die Kusari Lodge, welche alle attraktiver sind als das Camapmiento Kavac. Vor dem Mittag laufen wir bis zur Canaima Lagune, die von fünf Wasserfällen gespeist wird. Zum Mittag gibt es Reis, Rinderfleisch und Salat. Klingt zwar sehr simpel, schmeckt aber mui rico! Nach dem Mittagessen müssen wir dann zweieinhalb Stunden vergammeln, bevor wieder etwas passiert. Um 15:00 Uhr fahren wir mit dem Boot über die Lagune mit ihren charakteristischen drei Palmen. Dann wandern wir 20 Minuten bis zum beeindruckenden Salto Sapo. Es heißt wir sollen feste Schuhe, Kameraschutz und Regencapes mitnehmen, da es sehr nass wird und ich denke: “ Ja, ja alles ganz gefährlich und sicher tropft es auch irgendwo mal“. Mal ganz davon abgesehen, dass es die ersten Meter schon mehr als nur tropft, über die Steine am Boden strömt das Wasser schon knöchelhoch. Doch dann kommt es! Die Wassermassen tosen, die Luftverwirbelungen und die Gischt nehmen einem die Sicht, den Atem und reißen die flatterigen Regencapes hoch. An der schmalsten Stelle strömt das Wasser direkt in den Regencape und wenn man diese Stelle hinter sich hat, ist man wie einmal in den See eingetaucht! Ein Wasserfall wie dieser sieht schon faszinierend aus. Wenn man jedoch einmal erfahren hat welche Kraft darin steckt, ist man umsomehr beeindruckt.
Zurück in Canaima versuchen wir noch einmal Bier oder Rum zu kaufen. Vergebens. Seit drei Monaten herrscht in Canaima Alkoholverbot und es ist offiziell nur Touristen möglich Longdrinks in den Unterkünften zu konsumieren. Wir gehen wieder zurück zu unserem Camapmiento Kavac und müssen wieder zweieinhalb Stunden bis zum Abendessen vergammeln. Canaima mit seinen 2.000 Einwohnern ist im Grunde ein Dorf, dass ausschließlich vom Tourismus lebt. Jedoch sind außer den Standardtouren und zwei Souveniershops keinerlei andere Möglichkeiten vorhanden um sich einen schöne Zeit oder wenigstens einen schönen Abend zu machen. Nach 17:30 Uhr versinkt der Ort in Dunkelheit und man kaum mehr tun als warten. Das tun wir auch während sich nebenan die Angestellten bei einer Geburtstagsparty die Ohren mit lautem Latin Pop zuballern. Um fünf Uhr am Morgen neigt die Party sich dem Ende und die Musik verstummt.
19.09.2010 – Carolines Kopfkissen ist voller Kot! Wahrscheinlich von einer Fledermaus oder einer Ratte die über ihrem Bett, in dem Mauerloch am Dachfirst wohnt. Es ist 6:15 Uhr und in unserem Camapmiento gibt es auf absehbare Zeit nichts. Also gehen wir zur Posada Wey Tepuy wo wir schon mal einen Kaffe bekommen. Später im Campamento gibt es Spiegelei, ungebacknen Toast und die berüchtigten Maismienen. Wir warten wieder einmal. Diesmal auf andere Touristen mit denen wir zum Salto Angel fahren. So nebenbei haben wir auch erfahren, dass wir die von uns gebuchte und teuer bezahlte Extratour nicht bekommen. Man steckt uns einfach in eine der Gruppen die die Standardtour machen. In der Folge der Diskussion darüber nannte unser Guide viele Gründe warum dies nicht geht:
– es ist low season, das sind nicht genug Boote da (an der Anlegestelle lagen etwa 20 Boote, in der low season werden aber täglich nie mehr als 10 Boote benötigt)
– ein Boot und ein Guide müsste mit uns allein fahren, das geht nicht
– nicht genug Essen da für eine weitere Nacht.
Ich rufe im Büro von Gekko Tours an und bekomme dort zur Antwort auf meine Frage zur Diskrepanz zwischen Buchung und den Status Quo: „So was macht doch keiner“. Doch ich will es anders als die anderen und ich zahle dafür! Ich nehme mir auch das Recht mich zu ärgern, wenn es mir verkauft wird und abkassiert, jedoch nicht geliefert wird.
Plötzlich heißt es, wir können ein Boot für uns allein haben sollen aber noch einmal 500 Dollar zusätzlich bezahlen. Selbstverständlich, dass man in Venezuela so mal eben so 500 Dollar in der Tasche mit sich herumträgt oder im Zimmer liegen lässt, in dem sich die Tür mit einem Draht öffnen lässt. Im übrigen, die Tour kostet normalerweise keine 250 Dollar.
Mit einer Gruppe fahren wir über den Carrao Fluss Richtung Angel Fall. Die fast menschenleere Landschaft des Canaima Nationalparks der zum Weltnaturerbe gehört, wirkt wie aus einem Land vor unserer Zeit. Man erwartet fast hinter der nächsten Flussbiegung einen Saurier zu sehen. Tausend Meter hoch ragen die Tepuis aus dem Dschungel empor. Ein Regenguß erwischt uns auf dem Fluss und auch die Stromschnellen sorgen dafür, dass wir nicht trocken bleiben. Nach vier Stunden Fahrt erreichen wir die Teufelsschlucht. Über uns erhebt sich der höchste Wasserfall der Welt, der Salto Angel. Leider regnet es schon wieder. Trotz matschigen Boden und rutschiger Steine, machen wir uns auf den beschwerlichen Weg durch den Dschungel zum Mirador (Aussichtspunkt) Salto Angel. Auf dem Rückweg wird es langsam dunkel und wir stolpern über Stock und Stein. Doch auf den letzten Metern brauchen wir dann doch die Lampen. Das Camp besteht aus einer Küche und zwei nach allen Seiten offenen, mit Palmwedeln gedeckten Unterständen. Dort angekommen, hat mich meine obligatorische Klimaanlagenerkältung erwischt, und ich versuche irgendwie meine Sachen zum trocknen aufzuhängen und mache unsere Hängematten für die Nacht bereit. Dann kippe ich mir noch fünf Tee rein, bevor wir uns in unsere Hängematten kuscheln.
21.09.2010 – In der Nacht hatte es wieder geregnet. Doch jetzt um fünf Uhr, als wir den zweiten Aufstieg zu Mirador beginnen, hat es glücklicherweise aufgehört und die Sonne beginnt den Nebel aufzulösen. Weniger als 40 Minuten brauche ich bis hoch und als ich oben ankomme präsentiert sich der Ayuan – Tepui und der Angel Fall wie es besser kaum sein könnte. Die Sonne scheint und ein Regenbogen steht über der Gischt des Wasserfalls. Über Wurzeln und Steine geht es wieder talwärts. Auf den letzten hundert Metern, ich trotte so im Tran vor mich hin, sehe ich wie sich eine der Wurzeln auf dem Weg wegschlängelt. Ich bleibe stehen, schaue mich um und sehe noch wie sich eine etwa einen Meter lange und giftig aussehende Schlange von Weg wegschlängelt. Fasziniert betrachte ich sie eine Weile. Schwarz auf dem Rücken mit Zacken und giftgrün die Unterseite. Da habe ich wohl noch einmal Glück gehabt. Das nächste Krankenhaus mit Serum dürfte wohl etwa sechs Stunden entfernt sein.
Nach dem Frühstück fahren wir dann wieder mit dem Boot Richtung Canaima. Diesmal regnet es zwar nicht unterwegs aber die Versuche trocken zu bleiben scheitern in den Stromschnellen vor Canaima gänzlich. Da wir diesmal auch noch fünf einheimische Indianer an Bord haben schwappt das Wasser eimerweise ins Boot und unsere Füße stehen knöcheltief im Wasser. Für einige Momente habe ich wirklich Zweifel, ob das gut geht. Es geht gut, doch wir sind naß bis auf die Unterwäsche. Nach dem Mittagessen lege ich mich etwas hin und kurze Zeit später fängt es an zu regnen. Der Regen prasselt auf das Wellblechdach und das Prasseln wird zu einem Rauschen. Das Rauschen steigert sich immer mehr. So einen Regen haben wir noch nie erlebt. Draußen schwimmt alles und ein alter Mann versucht mit einem Besen die Wassermassen davon abzuhalten in die Zimmer zu laufen. Als sich der Regen zum Gewitter steigert, hockt der alte Mann sich am Ende des Ganges auf den Boden, beginnt zu beten und hält sich die Ohren zu. Eine Stunde später steht er mit dem Ausdruck der Verzweiflung im Gesicht und dem Besen in der Hand auf dem Gang, während seine Füße von Zentimeter hohen Wasserströmen umspült werden. Hier kommen wir heute auch nicht mehr weg und so sitzen wir vor unserem Zimmer und schauen den Sturzbächen zu, die vom Blechdach laufen. Einzige Abwechslung an diesem Abend ist das Fangen und Ausquartieren der Fledermausfamilie die in unserem Zimmer in flatternder Weise die Moskitopopulation dezimieren.
22.09.2010 – Kakerlaken und Ameisen beginnen die Herrschaft in unserem Zimmer zu übernehmen. Für die Ameisen ist auch mein Bett keine Tabuzone mehr und so stehen wir auf und packen. Zum Frühstück gibt es heute zu unserer großen Freude Pancakes, Spiegelei, Wurst und Käse. Etwa um 11:00 Uhr soll unser Flug über den Salto Angel starten und bis dahin müssen wir wie immer – warten. Da es bewölkt ist und immer wieder mal ein paar Tropfen regnet ringen wir mit uns, ob wir den Überflug über den Salto Angel überhaupt machen sollen. Wir entscheiden uns dafür und machen bei unserem Guide Felix etwas Druck. Für uns unerklärlich heißt es plötzlich es geht sofort los. Wir müssen uns beeilen, werden zum Airport gefahren, wo mit laufendem Motor schon eine Cessna 206 auf uns wartet. Wenige Minuten später erhebt sich die Maschine mit uns allein an Bord über Canaima und nimmt Kurs auf den Ayuan Tepui. Nach etwa zwanzig Minuten Flugzeit überfliegen wir in nur einhundert Meter Höhe einen riesigen Tepui, auf dem ein Fluss zum Rand des Berges strömt. Unser Pilot dreht sich halb um, zeigt nach unten und mein eher beiläufig: „Salto Angel“. Eine Sekunde später überfliegen wir die Kante, sehen wie die Wassermassen tausend Meter in die Tiefe stürzen, die Maschine schwenkt in die Teufelsschlucht und wir denken nur: „WOW!!!“ Mehrere Male durchfliegt der Pilot das Tal und überfliegt den Salto Angel. Nach so vielen Flugmanövern wird es Zeit die zweite Antikotztablette einzuwerfen. Mangelnder Druckausgleich und Erkältung sind eine schlechte Kombination. Als wir wieder landen ist mein Magen auf links gedreht und ich höre nichts mehr.
Wir begeben uns wieder in unseren Wellblechspeisesaal und warten noch eine Stunde auf unser Mittagessen. Curryreis, Gemüse mit Rattenragout. Vielleicht liegt es am Hunger aber schmecken tut es. Nach nur einer weiteren Stunde Wartezeit werden wir zum Flughafen gefahren um zurück nach Ciudad Bolivar zu fliegen.
Am Flughafen in Ciudad Bolivar angekommen, werden wir mit spannenden Neuigkeiten erwartet. Wie wir ja schon erfahren haben, fliegt die venezolanische Fluggesellschaft CONVIASA, welche durch einen Absturz einer ATR 42 mit 17 Todesopfern am 13. September 2010 und durch einen Triebwerksausfall an einer Boing 737 am 16.09.2010 in die Schlagzeilen kam, bis zum 04.10.2010 nicht. Da wir ebenfalls zwei Flüge bei dieser Gesellschaft gebucht hatten, ändert sich unser Reiseplan. Die etwa sechshundert Kilometer von Ciudad Bolivar nach Puerto Ayacucho müssen wir nun mit dem Auto zurücklegen. Wir machen noch einen Umweg zum Busbahnhof um zwei Bekannte des Besitzers der La Casita abzuholen und sehen so schon etwas von Ciudad Bolivar. Armierungseisen ragen aus Gebäuden, morbider Charme ist schon vor langer Zeit der vollendeten Hässlichkeit gewichen und hunderte von Schrott gewordene Legenden des amerikanischen Automobilbaus buhlen um die besten Plätze auf den vollen Straßen. Beißender und fettiger Abgasgestank, der Zunge und Nasenschleimhäute betäubt, hängt in den Straßen. Ich liebe ja Südamerika und die Südamerikaner aber mit Venezuela werde ich nicht warm. In der La Casita schaffe ich noch ein Light Bier und muss mich dann meiner Grippe ergeben und ins Bett gehen.
22.09.2010 – Die Posada La Casita ist eine Oase in der sozialistischen Wirklichkeit Venezuelas und einer der idealen Ausgangspunkte für Touren in ganz Venezuela. Sie liegt 11 Kilometer außerhalb der Stadt, bietet eine kostenlosen Shuttleservice von und zum Flughafen und bietet auch sonst Unterstützung bei der Organisation von Touren im ganzen Land. Möchte man jedoch so wie ich, im frühen Morgenlicht und am Abend in der Stadt fotografieren so ist die Posada Amor Patrio zumindest für eine Nacht die bessere Wahl, da sie sehr zentral in der Altstadt liegt. Es ist nicht so, dass die Altstadt von Ciudad Bolivar sehr attraktiv wäre, aber ein Rundgang in den frühen Morgen oder Abendstunden macht aus zwei Gründen einen Sinn. Morgens ist es kühler und die Straßen sind noch nicht so zugeparkt und am Abend kann man bei gutem Wetter an der Ecke Calle Corcordia/Calle Constitution einen schönen Sonnenuntergang über dem Orinoco erleben. Wir fahren nach dem Frühstück nach Ciudad Bolivar in die Altstadt. Die renovierten Fassaden sind zum Teil potemkinsche Dörfer, denn einige Häuser sind im Innern zusammengefallen. Der Müll türmt sich an den Straßenrändern. Gepflegt ist im Wesentlichen nur der Plaza Bolivar, das Casa Congreso di Angostura und vielleicht noch der Parque el Zanjon. Auf der Rückfahrt hält der Fahrer an der Tankstelle an und tankt voll. Ich sehe wie er dem Tankwart fünf Bolivares in die Hand drückt. Ich sage: „Momentito“, denn ich konnte nich genau sehen wie viel er getankt hatte. Auf der Tanksäulenanzeige steht: 47,65 Litro! Ich frage “ cinco Bolivares por cuarent y ocho Litros?“ Er lacht: “ Si!“ Ich: “ En alemania conseguir por cinco Bolivares un medio litros.“ Er lacht wieder. Wir eher nicht. Benzin ist in Venezuela subventioniert. Es wird zu geringeren Preisen verkauft als es gefördert und raffiniert wird. Fünf Bolivares sind offiziell ein Dollar. Also hat er für einen Liter 0,021 Dollar oder 0,0161 Euro bezahlt. Nach unserem abendlichen Stadtrundgang rufen wir wie verabredet eine halbe Stunde vorher in der La Casita an und bestellen uns das Taxi. Der Taxifahrer kommt jedoch nicht obwohl er zugesagt hat, weil er noch hundert Kilometer entfernt in Puerto Ordaz ist. Wir stehen insgesamt eine Stunde am Straßenrand im Abgasgestank bevor uns ein anderes Taxi zur La Casita fährt. Jetzt müssen wir unsere Sachen noch packen und etwas essen. Morgen werden wir in aller Frühe abgeholt zu unserer Tour in das Orinoco Delta.
23.09.2010 – Kurz nach sechs Uhr fährt uns ein Taxi in das 173 Kilometer entfernte Boca de Uracoa. Die Fahrt von Ciudad Bolivar nach Boca de Urocoa führt duch eine unendlich scheinende Ebene. Ungenutztes Weideland, oder Kiefernwälder die hier völlig fehl am Platz erscheinen. Kiefern brennen sicher gut in dier Hitze hier und tatsächlich sind eineige der Monokultur Plantagen bereits den Flammen zum Opfer gefallen. Die wenigen Orte durch die man fährt, bestehen aus LKW Reparaturwerkstätten und Straßenrestaurants. In einem dieser Straßenrestaurants nötigt unser Taxifahrer uns einzukehren. Er bestellt drei dieser ekligen Maisbrötchen mit Chickenschredder und ungenießbaren Kaffee in Plastikbechern dazu. Wir essen davon nichts und holen uns eine Cola und ein KitKat. Bezahlen dürfen wir alles. Einziger Höhepunkt, dieser Fahrt, vor allem im Wortsinn ist die riesige Betonbrücke über den Orinoco. In Boca de Urocoa werden wir mit einem Motorboot abgeholt. Zuerst fahren wir den Orinoco entlang und biegen dann in den Manamo River ein und wenig später in den Kokuruhana River. Nach etwa eineinhalb Stunden erreichen wir das „Campamento Abujene„. Das Camapmento Abujene besteht aus einfach errichteten Holzgebäuden, die sich in die Dschungellandschaft einfügen. Wir sind die einzigen Gäste. Nach dem Mittagessen fängt es wieder an zu regnen und wir chillen noch bis 15:00 Uhr bevor unsere erste Endeckungsfahrt losgeht. Glücklicherweise hörte es genau in diesem Moment auf zu regnen. Wir lernen was über Bäume, die ihre Äste als Wurzeln in das Wasser stecken, gucken Vogis und langweilen uns dabei ein wenig. Der Himmel ist bewölkt, es wird dunkler, wir keine Lust, also zurück zur Lodge zum Abendessen und hoffen das der Tag morgen besseres Wetter bringt.
24.09.2010 – Die Frühstückscerealien wie Wurts und Käse gehen zum größten Teil an die drei Hunde des Campamento. Das Brot jedoch welches hier aus Blüten und Wasser gebacken und als Domplina bekannt ist, schmeckt besonders warm unwiderstehlich. Danach besuchen wir zwei Warao Dörfer der Culebrita Community ausgiebig. Die Zeiten, da die Waraos tief im Dschungel in kleinen offenen Schilfhäusern wohnten scheinen zu Ende zu gehen. Um leichter ihre Waren verkaufen zu können haben sich viele an den Ufern der Hauptströme niedergelassen. Viele kleine Dörfer wurden in staatlich finanzierten Siedlungen zusammengefasst. Auch die Einbaumkanus werden Boot für Boot von moderneren übermotorisierten Booten abgelöst. Die Abhandlungen in Reiseführern über das Wasservolk verklären die Wirklichkeit und zeichnen ein Bild der Ureinwohner welches nicht zutrifft. Auf der Rückfahrt werden wir von Regen gründlich durchnässt. Zum Mittag gibt es Spagetti mit Rindfleisch, Kartoffelstückchen und Gemüse. Nach dem wir bis 15:00 Uhr geschlafen haben, besuchen wir am Abend wieder Warao Dörfer der Kokuruhana Community. Alle Kinder können im Alter von vier Jahren, acht Jahre lang zur Schule gehen. Die Mädchen werden jedoch meist im Alter zwischen 12 und 14 Jahren verheiratet und danach meist schnell schwanger. Sie gehen oft zurück in ihre Dörfer und kümmern sich nur um die Kinder, die Essenszubereitung und das Kunsthandwerk. Das Schulwissen ist dann meist vergessen und verloren. Selbst Mädchen oder Jungen, die es an eine Uni in der Stadt schaffen, leben dort auf Warao Art. In der Konsequenz können nur sehr wenige Indianer etwas spanisch sprechen und schreiben. Arztbesuche sind genau wie die Schule kostenlos für alle. Doch leider lehnen die Warao die Behandlung durch Schulmediziner ab oder haben einfach Angst in die Stadt zu fahren. Sie ziehen einen Medizinmann vor. Die Konsequenz ist eine hohe Sterblichkeitsrate besonders unter den Kindern. In den letzten Jahrzehnten hat sich vor allen auch die Tuberkulose explosionsartig ausgebreitet, die Alte und vor allem Kinder dahinrafft, da sie ein ohnehin geschwächtes Abwehsystem haben. Die Männer kümmern sich um die Nahrungsbeschaffung. Meist jedoch nur wenn nichts mehr zu essen da ist. Sie fangen dann etwas Fisch, oft gibt es aber auch nur zerkochte Reispampe. Wir sahen leider viele Kinder mit Wasserbäuchen. Traditionen und Fehlverhalten lassen sich eben auch mit sozialistischen Geschenken anlässlich einer anstehenden Wahl nicht durchbrechen. Per „Kredit“ hat die Partei PSUV von Chaves jeder Familie einen Bootmotor zugänglich gemacht. Es war schon sehr auffällig, wie viele Boote neue Yamaha oder Suzki Motoren hatten. Ein 100 PS Außenborder für ein kleines Holzboot waren dabei nicht selten. Vielleicht hätte man etwas mehr Geld in die Ernährungsberatung und in Schulessen stecken sollen………aber nur vielleicht.
25.09.2010 – Unser Guide Alex hatte wohl mitbekommen, dass ich von der Fotografie besessen bin und vorgeschlagen heute früh um sechs wegen des Sonneaufganges loszufahren. Zum Glück hatte ich abgelehnt, weil die Lage hier in den engen Dschungelkanälen dafür nicht geeignet ist. Heute früh ist es im Osten total bewölkt und besagter Sonneaufgang fällt aus. Trotzdem streife ich seit fünf Uhr in der Anlage rum. Der Steg der zu den Hütten führt ist mit Batzen von Hundekacke vermint. Nun könnte man ja meinen, halb sechs ist noch sehr früh und es hätte noch niemand bemerkt. Mitnichten! Der Chef ist sogar selbst schon reingelatscht und hat dabei einen der breiigen Haufen über den Steg verteilt. Einen Eimer und einen Besen schnappen und die Sauerei beseitigen wäre zuviel Engagement am Morgen und so lässt er sich wieder in den Schaukelsessel im Restaurant sinken und dämmert weg. Um halb acht muss einer der Küchenangestellten der Hundekacke zu Leibe rücken. Nach dem Frühstück besuchen wir weitere Warao Dörfer um etwas mehr über die Situation der indigenen Bevölkerung zu erfahren. Den Anlegesteg an der Schule repariert man nur, da morgen hier eins der zentralen Wahllokale für die bevorstehenden Kommunalwahlen sein wird. Benzin auf Staatskosten für die Stromgeneratoren gibt es auch erst wieder seit einigen Monaten. An den katastrophalen Wohnbedingungen und dem Alkoholproblem vieler männlicher Waraos ändert das nichts. Wir kommen mit unserem Guide Alex ins Gespräch über Politik und Bildung und auch über Chavez, den er nicht mag. Vergleiche zur Geschichte liegen nahe, doch wir wundern uns, dass Alex noch nie etwas vom ersten oder dem zweiten Weltkrieg gehört hat und weder Hitler noch Stalin kennt. In den Schulen werden nur Themen aus der venezolanischen Geschichte gestreift. Somit wird wieder klar, dass die Massstäbe der europäischen Schulbildung in den meisten Ländern der Erde nicht der Massstab sind. Unser Guide freut sich wie verrückt auf einen Dschungeltrip und so machen wir mit. Allerdings steht der Dschungel noch bis zu einem halben Meter unter Wasser und wir müssen uns mit Gummistiefeln und Machete reinkämpfen. Nach zehn Metern wird klar wer hier das sagen hat. So viele Moskitos habe ich noch nie erlebt. Menschen gehören hier nicht her und ich bin froh als wir nach zwanzig Minuten wieder draußen sind. Jedoch hatten wir das Glück gleich in der Näher rote Brüllaffen und eine Wasserschlange zu sehen. Zum Sonnenuntergang fahren wir zu einer im Bau befindlichen Lodge und sitzen dort auf dem Holzsteg. Der Sonnenuntergang fällt heute, da sich die Regenzeit erst dem Ende neigt, eher enttäuschend aus aber der Abend wird durch einen Gruppe vorbeischwimmender Toninas (Flußdelphine) abgerundet. Nach dem Abendessen entdeckt einer der Angestellten die Tarantel, die hier des öfteren im Restaurant zu Besuch ist. Mit einer Größe von nur etwa vierzehn Zentimetern ist sie noch ein Jungtier, aber groß genug jede Arachnophobie ausreichend zu bedienen.
Elecciones parlamentarias de Venezuela
26.09.2010 – Heute morgen fahren wir zu oben erwähnter Schule um uns die Wahlen anzusehen. Für eine rege Beteiligung ist gesorgt. Mit Hochdruck hat man den ganzen Morgen noch an der Lodge gebaut auf dessen Steg wir gestern Abend gesessen haben. Ein Stromgenerator wurde aufgestellt, Licht installiert, und eine Küche mit Grill aufgebaut. Latino Musik schallt über den Orinoco und am Steg liegen so viele Boote, dass es unmöglich ist noch einen Platz zu bekommen. Wer zur Wahl geht, kann sich und die ganze Familie hier hinterher beköstigen lassen. Eine Riesenparty für die Bewohner entlang des Flusses. Zur Wahl tragen alle ihre beste Kleidung. Die sengende Hitze hält niemanden davon ab eine dicke Jacke zu tragen, wenn nur wenigstens ein Marke darauf steht. Lacoste, Hollister, A&F und Adidas alles echte Fakes. Der Soldat der Nationalgarde, der selbst bemerkt hatte, dass ich auch ihn fotografiert habe, hat mich eine Stunde gewähren lassen. Nun jedoch ist es ihm anscheinend zuviel geworden, denn ich muß das fotografieren einstellen. Wir verlassen das Dorf und fahren zurück zum Campamento, essen Mittag und fahren zurück nach Boca de Uracoa.
Kaum ist man raus aus dem Mangrovenwäldern auf dem Orinoco, sieht man, dass entlang der Ufer die ursprüngliche Vegetation nur dort überlebt hat, wo das Land nicht nutzbar ist. Auf weiten Strecken ist der Wald bis an die Uferlinie Rinderweiden oder Plantagen gewichen. Kein Regenwald mehr, dafür aber der Gestank von Rinderexkrementen der über dem Fluß hängt. Boca de Urocoa die steingewordene Tristesse, die Farben von der Sonne verblichen, die Fassaden vom Regen morbide, die Menschen gleichgültig geworden von einer Gesellschaft, in der das Wort Leistung keine Bedeutung hat. Hier verabschieden wir uns von Alex. Er hatte drei Monate keinen Job bevor er mit uns unterwegs war und schaut auch jetzt wieder in eine unsichere Zukunft in der er nie sicher ist wann er wieder als Guide angeheuert wird.
Von Boca de Urocoa fahren wir mit dem Taxi die 270 Kilometer zurück nach Ciudad Bolivar zur Casa La Casita. Seit vier Tagen zum ersten Mal duschen und die Sachen ordnen. Am Abend sitzen wir noch mit anderen Backpackern zusammen bis ein Flasche Rum leer ist!
27.09.2010 – Es ist 7:00 Uhr und während wir in der La Casita zum ersten Mal unser Frühstück genießen wollen, kommt unser Taxi vorgefahren, welches wir statt des Fluges für die Fahrt nach Puert Ayacucho nutzen müssen. Es ragt nur knapp über das Fundament des Zaunes. Das Ding entpuppt sich als Chevrolet Spark, der in unseren Breiten als Hyundai Matiz bekannt ist. Dieses wohl in Liliputanien für Liliputanier entwickelte Auto, soll nun einen Koffer, einen großen, zwei kleine Rucksäcke, Stativbag, sowie zwei Menschen über 1,80 Meter und den Taxifahrer über eine Distanz von 600 Kilometer befördern. Wir sind skeptisch und die Entwicklungsingeneure währen es wohl auch gewesen.
Die Fahrstrecke ist zunächst genau so öde, wie die Strecke nach Boca de Uracoa. Erst nach dem man den Rio Caura überquert hat wird die Landschaft abwechslungsreicher. Überall liegen gigantische Granitblöcke, von den Einflüssen der Jahrtausende rund geschliffen, in der Landschaft herum, als wären sie von Himmel gefallen. Aber auch die Straße ist von den Witterungseinflüssen nicht verschont geblieben. Schotterpisten unterbrechen das Asphaltband, welches Löcher hat, die so groß sind, das ich befürchte der Winzling von Auto könnte gänzlich darin verschwinden. Der Fahrer flucht fortlaufend über Chavez. Er erzählt uns, dass die Provinzregierung vor vier Jahren Geld für die Reparatur der Strasse bekommen hat. Doch nichts ist geschehen. Unzählige Male setzen wir trotz Schrittgeschwindigkeit auf. Bei Tempo 60 knallt die Karre in eine tiefe Querinne. Jetzt sind die Reifen hin, denke ich. Der Fahrer hält an, brüllt vor Wut rum. Natürlich ist Chaves auch daran schuld. Er raucht eine und kontrolliert das Auto. Noch mal Glück gehabt, wir haben keine Panne. Vor Puerto Ayacucho beginnt es wieder zu regnen. In der Bergwelt die wir hier durchfahren tobt ein Gewitter und die Scheibenwischer schaffen es kaum, die Scheibe für mehr als eine Sekunde vom Wasserschleier frei zu wischen. Vier Militär – Checkpoints später erreichen wir Puerto Ayacucho. Dem ersten Anschein nach gibt es drei Gebäude, die nicht von Hässlichkeit, Verfall und dem feuchten Klima gezeichnet sind. Die Kaserne der Nationalgarde, die Kirche und das Gran Hotel Amazonas. Das letztere wird unser Heim für eine Nacht.
Wie wir so am Pool sitzen und einen Cuba Libre schlürfen, kommt der Inhaber der Agentur TADAE und eröffnet uns, dass wir erst um neun Uhr zu unserer Tour abgeholt werden. Das ist mir zwar etwas zu spät, aber es gibt ja auch erst um halb neun Frühstück.
28.09.2010 – Lange kann ich nicht schlafen und stehe um sechs Uhr auf, packe meine Fotosachen und mache mich auf zum Mirador Zamuro. Von dem Berg oberhalb der Barrios, kann man nach Sonnenaufgang sehr gut die Stromschnellen des Orinoco, die in mehreren Schleifen vor den Toren der Stadt verlaufen, fotografieren. Danach gehe ich zum Mirador Perico, von dem aus man einen guten Überblick über die Stadt hat. Allerdings ist dieses Motiv schon fast zugewachsen und auch nur für das Licht am Nachmittag geeignet. Interessant ist der Weg durch diese Viertel, die vielleicht so etwas wie Barrios sind. Scheinbar wahllos sind überall Häuser errichtet, in den Straßen und den Abwässergräben stapelt sich der Müll. Elektroleitungen sind von einem Haus zum anderen wild durch die Bäume verlegt oder liegen gar auf der Straße. Auch die Wasserleitungen aus Kunststoff, einfach zusammengesteckt, liegen quer über die Straße. Manche sind undicht und bewässern den Beton. Ich gehe zurück zum Hotel. Um 8:25 Uhr komme ich dort an aber Caroline ist nicht auf dem Zimmer. Auch nicht beim Frühstück. Hmmm…wer weiß. Ich gehe frühstücken, bestelle und warte. Gerade steht mein Kaffe und mein Saft auf dem Tisch, da verlangt jemand in der Lobby nach mir.
Ich gehe raus. Er erzählt mir irgendwas und ich verstehe nur spanisch. Nach einer Weile fällt ein zu fragen: „Donde es mi novia?“ (Wo ist meine Freundin?). Er: „Si…blablablub…officina“ Aha im Büro der Agentur wahrscheinlich. Ich verabschiede mich von dem Restaurantpersonal ohne zu frühstücken und ohne zu zahlen und entschwinde. Er führt mich zu seinem Auto. Ein ockerfarbener ISUZU Trooper, der aussieht als hätte heute Nacht Godzilla darauf geschlafen. Wir fahren einmal um den Block und halten hundert Meter von Hotel entfernt am Büro von TADAE. „Mach das nie wieder“ sind die Worte mit dene ich empfangen werde. Um kurz vor acht waren die Jungs von der Agentur schon da um uns abzuholen und sie haben mi novia erklärt wie gefährlich es doch ist, an die Orte an denen ich war alleine hinzugehen. Ich bin stinksauer lasse die Jungs einfach stehen und wir stapfen zurück zum Hotel und bestellen noch einmal für zwei Personen.
Nach dem Frühstück lassen wir uns dann zum Officina fahren, holen unsere Sachen und starten zum Port Samariapo. Weit kommen wir nicht, denn an einer der Militär Checkpoints werden all unsere Sachen durchsucht. Wohlgemerkt nur unsere. Ein Touristenpärchen mit deutschem Pass. Die Begründung: Man hat hier in letzter Zeit Probleme mit kolumbianischen Schmugglern und Geldwäschern. Haben die einen deutschen Pass?
Im Port Samariapo verladen wir unsere Sachen auf ein Aluminiumboot mit Außenborder und fahren mit Mario unserem Guide los. Wir kommen keine hundert Meter! Benzinleitung und Filter verstopft. Zwanzig Minuten treiben wir auf dem vermüllten Orinoco, während die Mittagssonne unser Hirn zu einer Rosine schrumpft. Nach vier Stunden kommen wir im Camp am Autana Beach an. Das Camp besteht aus mehreren nach allen Seiten offenen Schilfhütten, in denen man seine Hängematten aufhängen kann oder in denen die Kochstelle und die Essecke ist. Gekrönt wird das Ensemble von einem Toilettenhäuschen in Lehmbauweise mit einer Keramiktoilette samt Spülkasten. Die Spülung ist in Wirklichkeit natürlich ein Eimer, den man wahlweise in einer Regentonne oder am Fluss füllen kann, da der Spülkasten natürlich keinen Wasseranschluss hat. Der Komfort wird allerdings noch getoppt von der Elektroanlage, die sogar über Schalter und eine Steckdose verfügt. In bewährter fliegender Installation, wurde ein Kabel vom oberhalb liegenden Indianerdorf zu den Hütten geleitet.
Leider hatte niemand von uns dreien eine Glühbirne zur Hand. Wer rechnet vor Reiseantritt auch damit, dass er im Dschungel eine Glühbirne braucht. Zufällig konnte man uns im Dorf eine Birne ausleihen. Unser Guide Mario zaubert ein gutes Abendessen und wir sitzen noch eine Weile zusammen bevor wir in unsere hängenden Matten entschwinden.
Ich hatte gerade eine Stunde geschlafen, da läuft mir was über das Ohr. Schrecke hoch – Lampe an – suche meine verdammte Hängematte ab – nach fünf Minuten habe ich sie gefunden – eine Monsterkakerlake
29.09.2010 – Zu unserer aller größten Freude, packt unser Guide zum Frühstück einen leckeren Schokoladenkuchen aus. Zusammen mit der Cantalope Melone, dem gebratenen Toast, dem Kaffe und der Cola ergibt das ein Frühstück, welches kaum Wünsche offen lässt. Unser Guide schlägt vor ein Dschungeltrecking zu machen und den 280 Meter hohen Whuahari Mountain zu erwandern. OK warum nicht. Wir queren mit dem Boot den Fluss, fahren einen schmalen Kanal rein bis wir auf Land stossen und laufen los. Die ersten hundert Meter balancieren wir nur über Baumstämme, die den zum Teil noch unter Wasser stehenden Pfad überbrücken. Dann geht es steiler bergauf. Der Weg besteht nur aus Wurzeln und Steinen. Es ist schwülheiss und wir sind froh über einen kleinen Bachlauf, in dem wir uns erfrischen können. Nicht Mal die Hälfte geschafft. Immer steiler bergan. Der Guide findet ein Loch in dem eine Tarantel wohnt. Wir versuchen sie mit langen Stöckchen herauszulocken, bekommen aber nicht mehr als die Beine zu sehen. Aber unauffällig ausruhen konnten wir. Noch laufen wir im Schatten der Bäume aber ich bin schon total durchgeschwitzt, außer Atem, ich pumpe. Bei jedem Ausatmen fliegt mir ein Schweißtropfen von der Nase und nährt den Waldboden mit Salz und Mineralien die mir jetzt fehlen. Weiter! Nach eineinhalb Stunden endet der Wald. Die Sonne knallt auf mich herunter, es sind über 40 Grad wie ich später erfahre. Ich schwitze wie noch nie – habe den Guide weit hinter mir gelassen – stehe plötzlich vor einer Felswand – noch etwa vierzig Höhenmeter – ich fange an zu klettern – mein 13 kg Fotorucksack, mein Stativ und der Rest Wasser ziehen an mir – ich denke nix mehr – dann ein Absatz – Luft pumpen – gute Aussicht – nach zwei Minuten kann ich erst was trinken – aber es sind noch etwa zehn Höhenmeter bis zum höchsten Punkt – mein T Shirt ist so nass, als wäre ich besoffen in den Dorfteich gefallen – ausziehen – zum trockenen hier liegen lassen – der Indio holt mich ein – er schwitzt kein bisschen, ist nicht ausser Atem und trank bisher auch nie einen Schluck!- ich rappele mich auf – die letzten Meter – mit dem letzten bisschen Willen klettere ich auf den höchsten Stein – von dem Absatz etwas tiefer sah es besser aus! – raffe mich auf ein paar Fotos zu machen – trinke einen Schluck – das Wasser wird knapp – einteilen – aber der Abstieg wird ja sicher leichter.
Nach zehn Minuten packe ich meine Sachen und klettere runter, zieh mein T Shirt wieder an und rette mich bis in den Schatten der Bäume – das waren keine hundert Meter und ich muss mich schon wieder ausruhen – ein Schluck Wasser – ein kleiner ist noch drin – Meine Beine wie Gummi – keine Ahnung wie ich von diesem Berg wieder runter kommen soll – !Mierda! – die Tarantel kommt uns auf dem Weg entgegen – wir haben ja schon gesehen, dass die einen Meter weit springen können – wir halten zwei Meter Abstand – der Guide drückt sie mit dem Stock auf den Boden – die Tarantel greift den Stock an und stellt ihre Haare auf – wir schnell vorbei – weiter – das ist kein Dschungel, dass ist die Hölle kommt es mir in den Kopf, zumindest ist es schon mal so heiss hier – da kommt der Bach – etwas mehr als die Hälfte geschafft- eine letzter Schluck Wasser, T Shirt auswaschen, erfrischen und wieder weiter – einfach einen Fuss vor den anderen setzen – da kommen die Balancierbalken, noch hundert Meter. Nach vier Stunden sind wir wieder im Camp – total fertig!
Ich muss ich mich erst einmal im Fluss abkühlen und sitze danach noch eine Weile in der Badehose rum. Ein Fest für die Puri Puris. Ihr wisst nicht was Puris Puris sind? Wusste ich auch nicht. Kleine schwarze, stecknadelkopfgroße Käfer, die einen die Haut durchbeissen, wahrscheinlich um an ein paar Moleküle Blut zu kommen. Oft blutet die Bissstelle und später bildet sich eine kleine Blutblase mit einem roten Ring drum herum. Nach etwa zwölf bis vierundzwanzig Stunden fängt die Stelle an zu jucken. Das wäre ja nicht so das Problem, aber von den Puri Puris gibt es hier Millionen und ich scheine ihr einziges Opfer zu sein. Unserem Guide und den Indios tun die gar nichts. Die Einheimischen haben einen Immunstoff dagegen entwickelt. Für uns Fremdkörper gibt nur ein Mittel. Das in Venezuela erhältliche „OFF“. Das ist aber nur ein Schutz für maximal zwei Stunden und auch nicht wasserfest. Wir schmieren uns die giftige Pampe auf die Haut, ziehen uns lange Hosen und Sweatshirt an und warten auf den Abend. Wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, verschwinden auch die Puri Puris. Kaum ist die Küche warm, finden sich wieder einige Piaroa Indianer aus dem nahe gelegenen Dorf ein. Besonders für die Kinder sind wir eine willkommene Abwechslung. Zum Frühstück und zum Abendessen teilen sie mit uns gerne die Teller. Das wir zum einen nicht die großen Esser sind und auch gerne was abgeben, reicht es immer auch noch zwei Erwachsene und drei Kinder satt zu bekommen. Zum Nachtisch gibt es dann immer noch Bonbons und Kekse.
30.09.2010 – Verdammt haben meine Beine gejuckt heute Nacht! Musste aufstehen und massiven OFF Einsatz starten. Die kleine Tarantel, und der zehn Zentimeter große Grashopper störten mich kaum noch. Man muss eben mit der Taschenlampe gründlich den Boden scannen um nicht aus Versehen noch auf eine Schlange zu treten. Man ist ja hier schließlich nicht allein. Nach vier Uhr beginnt es hell zu werden. Endlich kann ich aufstehen. Vertreibe mir die Zeit bis der Kaffe fertig ist mit fotografieren. Leider ist es sehr bewölkt heute und die Sonne beginnt erst ab sieben Uhr am Himmel die Wolken wegzubrennen. Nach dem Frühstück mit den Indios, eins der Kinder hatte uns Abschiedsgeschenke aus ökologischen Anbau gebastelt, packen wir und fahren wieder zurück nach Port Samariapo. Am Hafen, kein Fahrtwind mehr, brennt die Sonne wieder erbarmungslos. Habe mir wohl zum zweiten Mal die Nase versengt! Nachdem ich zehn Minuten in der Sonne gestanden habe bin ich sofort nassgeschwitzt. Im Schatten des Vordaches eines gemütlichen Imbisses beobachten wir das An- und Ablegen der kleinen Wassertaxis und das Be- und Entladen von riesigen Gasflaschen und Benzinfässern, es stinkt überall nach Benzin und Abgasen, Müll ist auch hier keine Randerscheinung. Die Fahrt zurück geht ohne Kontrollen ab. Den Verteidigern der bolivarisch sozialistischen Revolution ist es heute anscheinend auch zu heiß.
Wieder im Gran Hotel Amazonas. Bestes Hotel der Stadt. Crepes mit Eis aber ohne Crepes. Cuba Libre aber ohne Cola. Die müssen wir in der Stadt selbst kaufen. Auf unserem Bett findet sich ein Handtuch mit Blutfleck, Reste der Rasieruntensilien des Gastes vor uns im Bad, jede Menge Dreck auf dem Boden und in der Ecke liegt eine tote Kakerlake auf dem Rücken. Wahrscheinliche Todesursache: Altersschwäche. Die trauernde Großfamilie wohnt im Badezimmermülleimer, so dass wir den Deckel lieber geschlossen lassen. Derweil sitzt das Reinigungspersonal im Poolbereich und hält entspannt ein Schwätzchen.
Wir schlendern noch etwas über den indigenen Markt und kaufen eine völlig überteuerte Maske der Piroa Indianer. Es war die einzige auf dem gesamten Markt und der Verkäufer liess absolut nicht mit sich handeln. Eine Strasse weiter finden wir eine Post und starten unser Experiment “ Postkarten nach USA und Europa“.
Wir duschen uns dann mehrere Schichten von Schweiss und OFF runter und gehen Abendessen.
01.10.2010 – Um 4:35 Uhr ist der Taxifahrer bereits in der Hotellobby und drängelt zur Abfahrt. Stolz erzählt er, dass die Agentur ihm ein neues Auto gegeben hat. Einen Chevrolet Spark. Klasse! Auf meine Bemerkung, dass es ja immer noch ein Schrumpfauto ist antwortet er: “ Thats enough for two persons“. Ja, klar ist das genug für zwei Personen oder zwei Koreaner. Ich sehe aber drei Personen und einen Berg Gepäck sehe ich auch! Nach anstrengenden neun Stunden und fünfzig Minuten kommen wir um 14:50 Uhr am Flughafen in Puerto Ordaz an. Wie gut, dass wir so früh losgefahren sind. Um 20:00 Uhr geht unser Flieger nach Caracas und einchecken können wir erst ab 16:00 Uhr. Nach dem Einchecken fahren wir mit dem Taxi noch einmal nach San Felix wo wir an der Uferpromenade zu erkennen versuchen, wie sich das dunkle Wasser des Rio Caroni, mit dem ockerfarbenen Wasser des Orinoco mischt. Viel mehr haben San Felix und Puerto Ordaz, die unter dem Namen Ciudad Guayana zusammengefasst werden, nicht zu bieten und so fahren wir wieder zum Flughafen und warten auf unseren Flug nach Caracas. Planmässige Abflugzeit war 20 Uhr. Die Ankunft in Puerto Ordaz hat sich nun schon mehrmals verschoben. Um 21:20 steht die Maschine, eine laubfroschgrüne DC 9-30 am Gate. Um 22 Uhr heben wir ab und landen wiedererwartend eine Stunde später sanft in Caracas. Bis zum Hotel Miramar sind es nur fünf Kilometer. Da jedoch die ganze Gegend dort neu erschlossen und bebaut ist, kann es schwierig werden ein Taxi dort hin zu bekommen, da die meisten Fahrer dieses Hotel nicht kennen und dann die Fahrt ablehnen.
02.10.2010 – Bis acht Uhr schlafen wir aus. Wir wohnen in der siebenten Etage und von hier kann man im Bett liegend, aus den großen Panoramafenstern die Flugzeuge starten und landen sehen. Steht man auf, kann man sogar das karibische Meer sehen. Unser Hotel befindet sich jedoch 28 Kilometer von Caracas entfernt. Was tun mit einem halben Tag. Es gäbe die Möglichkeit unter Palmen am Meer zu liegen, den Hotelpool zu nutzen oder nach Caracas zu fahren, wovon der Reiseführer jedoch abrät. Nach dem Frühstück, geben wir 30 Bolivares für ein Taxi zum Flughafen aus. Dort gehen wir zum National Terminal und steigen in den Airport Shuttle Bus in die City von Caracas ein. Die Fahrt kostet nur 18 Bolivares. Der Bus füllt sich, die Klimaanlage und der Motor läuft. Südamerikanische Rhythmen berieseln die Fahrgäste in einer Lautstärke, die eine Unterhaltung schwer macht. Nach zwanzig Minuten, der Bus ist fast voll, steigt der Fahrer vorne ein und brabbelt irgend etwas. Die Fahrgäste stehen wie eine Welle von vorne nach hinten auf und steigen aus. Wir steigen auch aus und gehen mit der Masse zum dahinter stehenden Bus. Da sich alle in der uns schon gewohnten, zeitlupenartigen Weise bewegen, überholen wir die meisten mühelos und finden so noch einen akzeptablen Sitzplatz. Endlich geht es los. Schon kurz hinter dem Ort Maiquetia sieht man an den Hängen die ersten Barrios. Hinter den Tunneln der Autopista bei Vaneillia, überziehen die Häuschen wie wuchernde Krebsgeschwüre, dicht an dicht die Hänge der Berge rechts und links, bis hoch zu den Gipfeln. Einige der Häuser, manchmal aber auch ganze Viertel, Mauern oder einfach nur Steine an der Straße, sind gestrichen in den venezolanischen Nationalfarben. An einem der Hänge prangt ein überdimensional großes Schild auf dem steht : „Sozialismo y Indepencia“. Die Anzahl der Armen und die Ausbreitung von Slums, ist wohl einer der eindeutigsten Indikatoren für den Zustand einer Gesellschaft. Das zweitgrößte Barrio des südamerikanischen Kontinents soll dass „Barrio Petare“ in Caracas, mit über 1,5 Millionen Menschen sein. Es gibt jedoch sehr widersprüchliche Angaben. Die einen behaupten, die Hälfte aller VenezolanerInnen leben in Armut, offizielle Quellen sagen, dass 60 Prozent der Steuereinnahmen in soziale Projekte fließen und die Armut daher in den letzten zehn Jahren von 49 Prozent auf 24 Prozent gesunken sei. Armut ist sicher auch eine Frage der Definition. Ganz sicher bräuchte es in einem „sozialistischen“ Venezuela, reich an Bodenschätzen wie Erdöl, Gold, Bauxit, Eisen und Kohle, keine Armut geben.
Wir fahren weiter in die Innenstadt. Durch die getönten Scheiben schauen wir ungläubig auf die vorbeiziehende Szenerie. Selbst die legal errichteten Gebäude und die gesamte Innenstadt sehen aus wie Kulissen aus einem Endzeitfilm. Den Justizpalast am Nuevo Circo, würde man nicht als solchen erkennen, würde es nicht dran stehen. Gleich dahinter, das Gebäude, dass die Avenida Bolivar mit einem kühnen Bogen überspannt, sieht aus wie eine Investruine. Der Müll wird hingekippt wo es gerade geht und sei es in die Blumenrabatten. Die Müllentsorgung wurde vor Jahren privatisiert und holt nur sporadisch Müll ab. Am Parque Central steigen wir aus. Einen Park gibt es hier nicht. Albtraumhafte Betongebäude ragen in den Himmel, alles ist zubetoniert und in der Mitte ist ein riesiger Markt, auf dem chinesische Kunststoffartikel und Kleidung verkauft wird. Wir gehen ein Eis essen und eine Saft trinken bevor wie die neue Seílbahn ausprobieren. Die offizielle Bezeichnung ist Monocable Gondola Detachable, errichtet von der Doppelmayr Seilbahnen GmbH. Sie ist 1,7 Kilometer lang und hat insgesamt 50 Gondeln für acht Personen. Von der Talstation Parque Central fährt man über ein Barrio auf den Bergkamm, nach El Manguito und Hornos de Cal. Von dort geht es wieder hinab zur Talstation San Agustín. Es war nötig beim Bau einige, wohlgemerkt illegal errichtete Häuser der Barrios abzureissen. Chaves sorgte dafür, dass auf dem Berg für die Betroffenen neue Häuser mit einer richtigen Infrastruktur errichtet wurden. Das wohnen dort ist mietfrei! Aber nicht alle, die in den Barrios leben sind arm. Einige bleiben auch dort wohnen, wenn sie zu einem bescheidenen Wohlstand gekommen sind. Sie sind dort seit Jahrzehnten verwurzelt und es gefällt ihnen dort. Ja, dies hat uns ein etwas durchgeknallter Caraqueño, der mit uns in der Gondel sass, erzählt. So wie wir mehrfach es taten, so nutzen schon jetzt einige Caraqueños die Seilbahn zum Vergnügen, denn auch die Nutzung der Seilbahn ist kostenfrei. Nach diesem Ausflug wollen wir wieder zurück zum Flughafen und gehen zurück zur Busstation. Doch der Airportbus fährt nur zu bestimmten Zeiten. Der nächste würde erst in einer Stunde fahren und das wäre für uns zu spät. Wir nehmen ein Taxi und kommen trotz des unfallbedingten Staus auf der Autopista, einigermaßen pünktlich wieder am Flughafen an. Die Tour zum Flughafen kostet 120 Bolivares. Bis zum Hotel, dass nicht weiter entfernt ist, sollte es 200 Bolivares kosten. Vom Flughafen fahren wir dann mit dem Taxi für 40 Bolivares nach Maiquetia zu unserem Hotel. Dort eingetroffen, heißt es Sachen packen, duschen, rasieren, umziehen und auschecken. Als wir am Lufthansa Schalter ankommen ist dort die Hölle los. Glücklicherweise hatten wir schon am Vormittag eingecheckt und müssen jetzt nur noch an der Schlange vorbei gehen und unsere Koffer einchecken. Bei der Kontrolle das Handgepäcks wird es dann merkwürdig. Zuerst kontrollieren Soldaten der Guardia National und durchleuchten die Taschen. Zehn Meter weiter in Sichtweite der Guaria National kontrolliert die Flughafenpolizei und durchleuchtet die Taschen abermals. Chaotisch wird es dann beim Check Inn. Nur ein Eingang in den Airbus A 340-600 ist geöffnet. Mehrere Soldaten, geschätzte 16 Jahre alt, trennen die Wartenden in zwei Reihen. Rechts die Frauen, links die Männer. Sie schreiten durch die Reihen wie Aufseher, greifen wahllos Leute raus, die ihnen folgen müssen. Wir laufen Richtung Kabinentür, der Jungsoldat dreht sich um, herrscht die Leute an, stehen zu bleiben. Tasche oder Rucksack öffnen! Sie werfen einen flüchtigen Blick hinein und wir dürfen weiter in die Kabine. Bis auf diese Weise das Boarding abgeschlossen ist, haben wir eine gute halbe Stunde Verspätung. Als wir zum Start rollen, erfahren wir bei der Ansprache des Piloten, dass wir Glück hatten. Die Tage zuvor startete man mit zwei Stunden Verspätung. Was sind schon zwei Stunden, welche Bedeutung hat Zeit im Sozialismus?! Um 18:00 hebt der Airbus A 340-600, der Lufthansa von der Startbahn ab und wir sehen aus dem Kabinenfenster zum letzten Mal die Lichter von Caracas.
Quellen: Guides Felix, Mario, Alex
Lonley Planet, erste deutsche Auflage 2008
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