KUBA – AZUCAR AMARGO

Fidel Maximo Castro

13. Januar 2020

Kuba Cuba Individualreise Havanna Trinidad Vinales Pinar Santa Clara Karibik Eisenbahn MINAZ„Genau vor 10 Jahren, 1995, landete ich mit einer IL 62 M der Cubana in Havanna. Ausgerüstet mit einer schlechten Landkarte, einem guten Artikel von Bernd Seiler im „Fernexpress“ und einem Suzuki SJ 410 ging ich auf „Dampfsafari“.
Man musste nur den Rauchfahnen in den Zuckerrohrfeldern folgen. Mühlen mit Dampfbetrieb lagen oft nur wenige Kilometer auseinander. Fotomotive mit langen beladenen Zügen gab es so viele, dass man in drei Wochen unmöglich alle Bahnen besuchen konnte. Das unverwechselbare Flair von Castros Freilichtmuseum mit seinen kolonialen Bauten, Oldtimern und die Herzlichkeit sowie die Hilfsbereitschaft der Menschen hat mich so beeindruckt, dass ich beschloss wiederzukommen.     Doch es sollten 10 Jahre vergehen.

Es hat sich alles und gleichzeitig nichts geändert. Cuba ist schön und katastrophal zugleich. Die Reiseeindrücke werden in jedem Fall von persönlichen Erwartungen und Ansprüchen bestimmt. Doch wer eine so weite Reise auf sich nimmt, sollte „Revolutionsromantik“ und den „Die Perle der Antillen“ Quatsch vergessen und sich ein eigenes Bild machen.
Ich lese zur Zeit „Schmutzige Havanna Trilogie“ von Pedro Juan Gutièrrez. Garantiert ein total anderer Blickwinkel.
Eine der Geschichten bleibt mir immer im Kopf. Ein erfolgreicher kubanischer Fotojournalist machte eines Tages in seiner Freizeit Aktfotos von leicht bekleideten Mädchen. Die Folge: Er verlor seinen Job, wurde aus dem Journalistenverband ausgeschlossen und seiner Frau wurde nahe gelegt sich von einem solch moralisch verkommenden Ehemann zu trennen. Das tat sie auch und schmiss ihn aus der Wohnung. Er lebte dann in der herunter gekommenen Bude eines Freundes und machte Nacktfotos von jungen Mädchen, die dann von Taxifahrern den Touristen angeboten wurden. So geschehen 1994.
Cuba stehe ich immer noch einigermaßen wertfrei gegenüber und erzähle hier nur einige Geschichten, die wie ich hoffe ein wirklichkeitsnahes Bild von Cuba malen. Einige wichtige Hintergrundinformationen habe ich zusätzlich zusammengetragen.

Kuba Cuba Individualreise Havanna Trinidad Vinales Pinar Santa Clara Karibik Eisenbahn MINAZLeichter Regen fällt in den Innenhof des Hauses in der Calle Libre als Carlos unsanft aus dem Schlaf schreckt. Es ist erst sechs Uhr am Morgen und dieser Wolken verhangende Tag ist kein Grund so früh aufzustehen. Es war als hätte ihn ein Donnergrollen geweckt. Er rieb sich verschlafen die Augen. Ein Kaffee, ja ein Kaffee. Jetzt wo er schon mal wach ist, würde er sich auch einem machen. Er schlurfte zum Herd und hielt inne. Was war das für ein Gekreische auf der Strasse? Der Kaffee sollte warten. Er knöpft sich die Hose zu, greift im Vorbeigehen sein weißes Shirt und lässt die Wohnungstür ins Schloss fallen.

Aus dem feuchtkalten Treppenhaus tritt er auf die Strasse. Trotz des Regens hängt noch immer eine klebrig ockergraue Wolke in der Strasse. Dort an der Ecke, wo gestern noch das alte Haus stand begann sich ein dunkles Nichts abzuzeichnen. Das ehemals stolze Gebäude, mit seinen Balkonen, den handgeschmiedeten Geländern und den verspielten Verzierungen trotzte fast hundert Jahre dem Regen und der salzigen Luft. Es ertrug, dass nach der Revolution Zwischengeschosse einzogen wurden, das man die handgearbeiteten Leuchter stahl und Fliesen von der Wand schlug. Doch niemand kümmerte sich um Risse, niemand um das Dach und schon lange war der Schwamm im Fundament und in der Wand.

Als die Zimmerdecken nachgaben, wurde es gesperrt und Menschen kamen um es auszuweiden. Es war auch Heimat vieler Familien, und vor nicht langer Zeit hallte der Klang der spielenden Kinder in seinen Mauern wieder. Er erinnerte sich, dass auch sein Geburthaus nicht mehr stand. An der Stelle ist heute der Gemüse- und Schwarzmarkt auf den auch seine Frau oft geht. Der Kaffee fällt ihm wieder ein. Er dreht sich um und geht ins Haus. Er wird etwas frühstücken und dann hinuntergehen und mit den Anderen Steine sammeln.

Steine bringen ein paar Peso und ab und zu findet man noch wertvollere Dinge. Irgendwie doch ein guter Tag.

 

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Martha Rodrigez Gomez war 30 Jahre alt, als Fidel Castro Ruz mit seinen Getreuen in 1959 Havanna einzog. Begeisterung und Hoffnung war nicht nur in ihr, sondern ein Beben der Euphorie ging durch das ganze Volk. Sie arbeitete hingebungsvoll in einer der nahen Centrals und half ihrem Bruder oft noch bis in die Dunkelheit auf den Feldern. Überzeugt waren sie von einem besseren, freien Cuba und davon, dass Che die Revolution nach ganz Südamerika tragen wird.

Doch nun verrinnt ihr Leben, verfallen die Häuser und die Früchte der Revolution sind vertrocknet. Vor vier Tagen ist ihr Mann gestorben. Seitdem sitzt sie fast einer allein am Esstisch und lebt in Gedanken. Was wird sie tun? Wird sie hier wohnen bleiben? Wird die Rente ausreichen? Hier kennt sie jede Ecke, in Havanna Niemanden. Doch ihre Tochter wird sie drängen mit ihr nach Havanna zu kommen. Sie wird darüber reden müssen, auch wenn sie es nicht will und der Zeitpunkt nicht der richtige ist.

Heute wird die Tochter mit ihrem Mann aus Havanna ankommen. Dort hat sie nach der Universität eine gute Stelle in einem Krankenhaus bekommen. Doch für ein Auto hat der Verdienst der Beiden nie gereicht. Sie werden wohl einen Bus nehmen, denn auf die Züge ist wenig Verlass. Man könnte sich tagelang auf die Gleise legen ohne überfahren zu werden. Der einzige Zug der hier in Trinidad pünktlich fährt ist der Touristenzug.

Morgen werden viele Gäste kommen. Viele von ihnen hat sie seit langem nicht gesehen und doch freut sie sich nicht. Sie werden essen und trinken, reden und tanzen. Nachdem sie auf dem Friedhof Abschied von ihrem Mann Carlos genommen hat, beginnt der letzte Abschnitt in ihrem Leben.

 

 

 

Kuba Cuba Individualreise Havanna Trinidad Vinales Pinar Santa Clara Karibik Eisenbahn MINAZ

Juan spielt gerne Fußball und er spielt besser als die meisten. Ja, Stürmer würde er gerne werden, er wäre sicher ein Star. Im Fernsehen wäre er und er würde sicher viel Geld verdienen. Eigentlich wollte er wie sein Vater auf einer dieser imposanten Erntemaschinen über die Zuckerrohrfelder fahren oder Macheto werden. Doch der Tag an dem sein Vater nicht von der Arbeit wiederkam veränderte Vieles.

Seine Mutter weinte wochenlang. Sie sagte er sei im Gefängnis. Er soll eine Rede gegen die Revolution gehalten haben. Sonst wissen sie nicht viel über das was an diesem Tag geschah. Sie wissen nicht wo er ist und nicht wann er wiederkommt. Manche sagen er habe Witze über Fidel gemacht und er soll Zettel verteil haben, auf denen irgendetwas über bessere Arbeitsbedingungen stand.

Seine Familie begann irgendwie auseinander zu brechen, seit Onkel Ifrain vor zwei Jahren nach Florida gegangen ist. Er schreibt einmal im Monat. Dem letzten Brief lag ein Foto bei. Er hatte einen Anzug an und sah ganz schön dick aus. Doch seine Mutter will nicht dort hin. Sie werden warten. Bis Vater eines Tages wieder nach Hause kommt.

Juan ist froh darüber, er hat so viele Freunde hier und wenn er es schaffen würde ein großer Fußballstar zu werden, könnte er seinen Vater vielleicht wiederbekommen. Für viele Dollars.

Doch nun hat er schon zulange nachgedacht und zwei Torchancen versäumt.

Jose beobachtet mit wütendem Blick die Fliege, die immer wieder auf seinem großen Zeh landet. Sein Pusten verscheucht sie nur kurz. Im Zimmer ist es nicht ganz so heiß wie draußen. Die Hitze des Sommers mögen die Fliegen scheinbar nicht und wenn sie dann doch durch die fehlende Scheibe des oberen Fensters nach draußen fliegt, so kamen vorher schon zwei andere herein. Wenn er sie doch bloß mit einer Zeitung platt schlagen könnte. Doch er kann sie nicht erreichen. Sein Bein ist bis über das Knie in einen tonnenschweren Gipsverbannt gehüllt und hängt jetzt an einer langen Schlinge die an der Decke befestigt ist. Nur seine Zehen schauen heraus. Diese verdammten Touristen, denkt er. Sie rasen mit Ihren Autos über die Insel, anstatt den Tag in der Hotelanlage zu verbringen. Was gibt es den hier schon im Hinterland zu sehen. Nur flaches Land, Plantagen und ein paar stillgelegte Centrals.

Einer dieser Irren hatte ihm gestern die Vorfahrt genommen. Dollars vor Peso, das wäre ja noch schöner! Als er am Straßenrand zu sich kam, hatte er einen offnen Bruch und eine Platzwunde aber er merkte es zuerst nicht. Die Löhne für die Leute in der Fabrik hatte er in einem Stoffbeutel um den Hals. Die Angst dass diese verschwinden könnten, waren sicher der Grund warum er nicht ohnmächtig wurde. Egal was passierte, er hielt den Beutel fest umklammert. Selbst als der Anestesist ihm eine Spitze gab, das Bein gerichtet und geschient und die Platzwunde am Kopf genäht wurde, gab er ihn nicht her. Es dämmert draußen und seine Augen sind schwer. Doch schlafen kann er nicht. Zu sehr schmerzt sein Bein. Gestern kamen sofort seine Familie und andere aus seinem Ort, Maximo Gomez und natürlich auch sein Chef um den Beutel zu holen. Seine Frau brachte von zu Hause eine Glühbirne mit.

Nun gibt es wenigstens Licht und seine Zimmergenossen poltern nachts nicht mehr orientierungslos durch das Zimmer wenn sie zur Toilette müssen. Hoffentlich lassen sie ihn morgen nach Hause. Die Wand anstarren kann er auch da. Doch da läuft wenigstens der Deckenlüfter und es ist immer jemand da, der die Fliegen verscheucht.

Kuba Cuba Individualreise Havanna Trinidad Vinales Pinar Santa Clara Karibik Eisenbahn MINAZRuben ist schon lange wach, als die ersten Sonnenstrahlen die Felsen und die Palmen im Viñales Tal streicheln. Kurz taucht der Sonnenaufgang das üppig grüne Tal von Viñales in ein magisches Zwielicht. Seit der Dämmerung schneiden Ruben und Carlos den Tabak. Ruben lebt seit fünfzig Jahren in Viñales. Er war selten weit weg von hier und nur einmal zum Karneval in Havanna. Damals als er achtzehn war, ist er mit einigen Freunden dorthin gefahren. Carlos war auch dabei. Er hatte den Chevrolet seines Vaters geliehen. Das war eine Zeit! Der Rum floss in Strömen und sie haben nächtelang getanzt. Alle Frauen wollten ihn und er kann sich nicht erinnern in diesen Tagen geschlafen zu haben. Die schönste von allen war Esmeralda. Nächsten Monat, am ersten Sonntag ist sie seit dreißig Jahren seine Frau. Doch geheiratet hat er den Tabak. Es war schön damals in Havanna, doch es ist nichts gegen einen Tag im Tal, wenn die Strahlen der Sonne beginnen die Nebelschleier zwischen den Bergen aufzulösen. Wenn die Wärme des Morgens die taunassen Blätter trocknet. Nichts ist vergleichbar mit dem Duft der trocknenden Tabakblätter in den Scheunen. Hier im Tal waren die Auswirkungen der Revolution am wenigsten spürbar und auch heute ist man hier von der Dramatik der Realität fast verschont. Der Tabak, ein kleiner Acker und ein paar Schweine versteckt in einem Wäldchen das reicht zu Leben. Hier in dieser unverwechselbaren Landschaft scheinen die Probleme Cubas weit entfernt. Die Tabakbauern konnten ihre Selbständigkeit weitgehend wahren und die dörfliche Gemeinschaft bietet noch unbedingten Zusammenhalt und Geborgenheit. Immer öfter kommen auch Touristen. Es ist eine gute Chance hier und da auf legale Weise an Dinge zu kommen, die es sonst nur schwer zu kaufen gibt. Vor ein paar Tagen bekam er Bleistifte, Kugelschreiben und Papier. Die Tochter des Nachbarn kommt in diesem Jahr zur Schule. Sie wird es gut gebrauchen können. Vor einigen Jahren war ein Senor Hauer aus Deutschland auf seinen Feldern. Er machte viele Fotos. Nach zwei Monaten kam ein Paket. Ein großes gerahmtes Bild von Carlos und ihm war in dem Paket. Es hängt jetzt im Wohnzimmer über dem alten Sofa. Ja, es war damals eine gute Entscheidung nicht in Havanna zu bleiben, denn die Plantage seines Vaters liegt mitten im Paradies.

Unser Tip in Havanna:

Privatunterkunft
Daisy Castro Perez
Manrique 362, bajos
San Miguel # San Rafael
Centro Habana
10200
República de Cuba
Tel: +53-7-8 63 30 78

Alle in Reiseführern genannten Sehenswürdigkeiten in Vieja sind zu Fuß erreichbar. Schaut man die Manrique hinunter sieht man den Malecon und das Meer. So früh wie möglich buchen, denn bei einem solch klasse Preis – Leistungsverhältnis ist Daisy oft ausgebucht. In diesem Fall sollte man nach Martha fragen. Sie hat ebenfalls ein Hostal und spricht deutsch.

Tip für Havanna: Wenn man ein Taxi nutzt, sollte man sich die Zeit nehmen und nach einem alten Amy Ausschau halten. Wir hatten das Glück unter anderem ein Cadillac Cabriolet zu erwischen.

Unser Tip für Trinidad:

Hostal Casa Mangely
Fernando Hernández Echerri y Juan M. Marquez
La Plaza de Major
Trinidad S. S. Cuba
CP: 62600
Tel: +53 01419 6525

Wenn man den Eingang der Kirche im Rücken hat, ist es das zweite Haus auf der rechten Seite. Zentraler kann man kaum wohnen und der Innenhof kann nur als lauschig bezeichnet werden. Das Hostal ist sehr sicher und verfügt über zwei separate Zimmer. Die Frau des Hauses bereitet gerne opulente Abendessen zu moderaten Preisen. Direkt gegenüber ist das „Casa de Musica“. Einheimische sowie auch internationales Publikum trifft sich hier um die Nacht zum Tag zu machen. Akustisch ist davon im Hostal davon nichts zu merken.

Ausflugstip:

Von Havanna Casa Blanca über Hershey nach Caraballo und Sanat Cruz del Norte ist bis heute die Hershey Bahn unterwegs. Die Gleise und Anlagen sind in weiten teilen noch im Ursprungszustand. Gefahren wird mit gebraucht aus Spanien erworbenen Triebwagen. Es werden jedoch auch noch drei amerikanische Triebwagen im Personenverkehr zwischen Hershey und Caraballo sowie Santa Cruz del Norte eingesetzt. Von Santa Cruz del Norte ist es nicht weit bis zum Strand. In jedem Fall jedoch ist die Fahrt mit dieser Bahn eine unvergessliche Zeitreise, die so sicher nicht mehr lange möglich sein wird.

Am 03.04.2003 haben acht Männer und drei Frauen die im Hafen von Havanna verkehrende Fähre entführt und damit Kurs auf die Vereinigten Staaten genommen. Sie wollten dort politisches Asyl beantragen. Die alterschwache Fähre wurde von der kubanischen Küstenwache begleitet bis das Benzin alle war.

Was einen zunächst schmunzeln lässt endete für die Entführer im Desaster.

Drei der Entführer der Fähre mit rund 40 Passagieren an Bord wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nach Angaben der kubanischen Regierung wurden die insgesamt elf Entführer wegen „schwerer Terrorismusverbrechen“ verurteilt. Vier Komplizen seien zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Ein weiterer Angeklagter erhielt 30 Jahre Haft. Drei Frauen bekamen Gefängnisstrafen in Höhe von fünf, drei und zwei Jahren.

Bei dem Fluchtversuch war niemand zu Schaden gekommen.

Kuba hat nach den Umwälzungen in den sozialistischen Staaten Osteuropas und Asiens schwer vorzustellende Schwierigkeiten durchstehen müssen. Während der Einbindung in den Comecon (den „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe der sozialistischen Staaten“) hatte Kuba die nationale Wirtschaft auf Zucker-Monokulturen ausgerichtet. Die Comeconstaaten bezogen ihren Zucker zu einem festen Preis und lieferten im Gegenzug Industrie- und Konsumgüter, z.B. Medikamente. 1990/1991 wurden diese Verträge aufgehoben, Kuba verlor seine Haupteinnahmequelle (während der 90er Jahre brach auch noch der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt zusammen). Die Nichterfüllung der Verträge durch Deutschland (die DDR lieferte Chemieprodukte, Medikamente, Milchpulver) machte sich stark bemerkbar (Die BRD möchte zwar Rechtsnachfolgerin des ›Dritten Reiches‹ sein, auch das Staatsvermögen der DDR hat man gerne verscherbelt; jedoch die internationalen Verträge der DDR konnte man nicht anerkennen.) Mit gewaltigen inneren Anstrengungen, mit einer Abkehr von der Monokultur und Aufbau nationaler Produktionsbetriebe und mit einer Öffnung hin zum Kapitalismus überlebte das „sozialistische Kuba“ bis heute.

Die Postkartenansicht von Kuba zeigt Palmen, Strände, Meer und und oft auch die berrauschend schönen neoklassizistischen Fassaden mit leicht morbidem Charme. Doch die Realität ist eine Andere.

Allein Havanna verliert im Jahr über dreihundert historische Gebäude, Tendenz steigend. Die tropisch hohe Luftfeuchtigkeit, die Wärme und das vom Wind aufs Land getragene Meersalz greift die Gebäudefassaden an, egal ob sie aus Naturstein, aus Ziegeln oder aus Beton gebaut wurden. Algen und Pilze beschleunigen den Zerfall zusätzlich. Die jahrzehntelange Vernachlässigung, die zweckfremde Verwendung von UNESCO Geldern und die Ablehnung internationaler Hilfe hat die Bausubstanz der kolonialen Bauten derart geschwächt, dass selbst bei sofortiger fachgerechter Totalsanierung 50% der Gebäude für immer verloren wären.

In einem gemeinsamen bis 2006 dauernden Forschungsprojekt, das auf Initiativen des Dortmunder Instituts für Spektrochemie und angewandte Spektroskopie (ISAS) zurückgeht, wollen der Lehrstuhl für klimagerechte Architektur und Bauphysik an der Universität Dortmund und die Arbeitsgruppe für Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung an der Fachhochschule Gelsenkirchen im Verbund mit dem „Consejo nacional del investigaciones scientificas“ sowie einem international tätigen Unternehmen für Bautenschutzsysteme die Möglichkeiten zur Rettung des Weltkulturerbes. Doch wer mit offenen Augen durch Havanna geht gewinnt zwangsläufig das Gefühl, dass es Zehn nach Zwölf ist. Was immer man auch über Fidel Castro Ruz denken mag, in seiner Rede liegt viel Wahrheit der man sich nicht verschließen kann.

Wir prangern die US-Maßnahmen an!

Fidel Castro auf einer Kundgebung am 14. Mai 2004 in Havanna

Mister George W. Bush,

die eine Million Kubaner, die heute hier zusammengekommen ist, um vor Ihrer Interessenvertretung zu demonstrieren, ist nur ein kleiner Teil eines mutigen und heldenhaften Volkes, das sich uns, wäre dies möglich, auch als Ganzes angeschlossen hätte.
Diese Zusammenkunft ist keine feindselige Geste gegen das US-amerikanische Volk, dessen ethische Wurzeln uns gut bekannt sind aus der Zeit, da die ersten Einwanderer auf dieser Erdhälfte eintrafen. Auch ist es nicht unsere Absicht, die Funktionäre, die Angestellten und das Wachpersonal dieser Einrichtung zu stören, denen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben alle Sicherheit und Garantien eines gebildeten und zivilisierten Volkes zuteil werden. Es ist dies ein Akt des empörten Protestes und der Anprangerung jener erbarmungslosen und grausamen Maßnahmen, die Ihre Regierung kürzlich gegen unser Land beschlossen hat.

Uns ist bereits jetzt klar, welches Bild Sie von jenen zeichnen werden, die hier heute demonstrieren. Ihnen zufolge handelt es sich um unterdrückte und nach Freiheit strebende Volksmassen, die einzig auf Befehl der Regierung Kubas auf die Straße gingen. Sie verkennen vollkommen, dass dieses würdige und stolze Volk, das 45 Jahre der Anfeindung, der Blockade und den Aggressionen seitens der stärksten Macht der Erde getrotzt hat, sich von keiner Macht der Welt wie eine Herde behandeln lässt, jeder einzelne mit einem Strick um den Hals.

„Dieses Volk trotzt seit 45 Jahren der stärksten Macht der Erde“

Ein Staatsmann oder jemand, der es zu sein beabsichtigt, sollte wissen, dass die gerechten und wahrhaft menschlichen Ideen sich im Verlaufe der Geschichte als viel machtvoller erwiesen haben als die Gewalt, welche nur staubige, schmähliche Ruinen hinterlässt. Die menschlichen Ideen hingegen hinterlassen leuchtende, unauslöschliche Spuren. Doch der Zeit, in der wir leben, einer barbarischen, unzivilisierten und globalisierten Welt entsprechen die schlimmsten, düstersten und zweifelhaftesten Ideen. Die Ordnung, die Sie heute der Welt aufzwingen wollen, entbehrt jeglicher Ethik und Glaubwürdigkeit, jeglichen Normen von Gerechtigkeit sowie der elementarsten Grundsätze von Solidarität und edler Gesinnung.

Alles, was in Ihrer und der Welt Ihrer Verbündeten, die sie gemeinsam unseren Planeten ausplündern, über Menschenrechte geschrieben wird, ist eine kolossale Lüge. Milliarden Menschen leiden Hunger; es fehlen ihnen ausreichend Nahrungsmittel, Medikamente, Kleidung, Schuhe, Wohnraum. Sie leben in unmenschlichen Verhältnissen, besitzen weder Kenntnisse noch genügend Informationen, um ihre und die Tragödie der Welt, in der sie leben, zu begreifen.
Sicher hat Sie noch niemand über die Zahl – sie ist inzwischen siebenstellig – der Kinder, Heranwachsenden, Jugendlichen, Mütter, Personen mittleren Alters und Senioren informiert, die gerettet werden könnten und die doch Jahr für Jahr zugrunde gehen auf unserer Erde, in diesem „idyllischen Garten Eden“; ebensowenig über das rasante Tempo, mit dem die natürlichen Lebensbedingungen zerstört und die fossilen Brennstoffe verschwendet werden, deren Entstehung auf unserem Planeten 300 Millionen Jahre gedauert hat.

Ihren Assistenten bräuchten Sie lediglich präzise Angaben abzufordern über die in Ihren Arsenalen befindlichen Zehntausende von Kernwaffen, von chemischen und biologischen Waffen, Bombenflugzeugen, Langstrecken- und Präzisionsraketen, Zerstörern, Flugzeugträgern, konventionellen und nichtkonventionellen Waffen, die ausreichen, alles Leben auf unserem Planeten zu vernichten.

Weder Sie noch ein anderer fände angesichts dessen jemals Schlaf; auch Ihre Verbündeten nicht, die mit Ihnen wetteifern hinsichtlich der Entwicklung ihrer Arsenale. Betrachtet man das unterentwickelte Verantwortungsgefühl, das mangelnde politische Talent, das Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Staaten und den kaum vorhandenen Willen, in Protokollen, bei Treffen und bei Beratungen Überprüfungskriterien für Vereinbarungen festzulegen, so können jene, in deren Händen das Schicksal der Menschheit liegt, nur wenig Hoffnung haben, wenn sie, ratlos und gleichgültig, auf jenes wahre Irrenhaus blicken, zu dem die Weltpolitik geworden ist.

Anliegen dieser Zeilen ist nicht, Sie zu beleidigen; doch da Sie nun einmal entschlossen sind, dieses Land einzuschüchtern, aufzuschrecken, um schließlich sein sozioökonomisches System, seine Unabhängigkeit sowie, falls erforderlich, das Land als solches zu vernichten, betrachte ich es als meine elementare Pflicht, Ihnen einige Wahrheiten vor Augen zu führen. Weder moralisch noch von Rechts wegen steht es Ihnen zu, von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten zu reden, denn Sie verfügen über genügend Macht, die Menschheit zu vernichten. Mit dieser Macht trachten Sie danach, der Welt eine Tyrannei aufzuzwingen, um gleichzeitig die Organisation der Vereinten Nationen zu ignorieren und zu zerstören, die Völkerrechte der Staaten zu verletzen, Eroberungskriege zu führen, um sich Märkte und Ressourcen der Welt anzueignen, der Welt dekadente und anachronistische politische und soziale Systeme aufzuzwingen, die die Gattung Mensch in den Abgrund führen werden.
Es gibt noch andere Gründe, aus denen sie das Wort Demokratie nicht in den Mund nehmen dürfen: Dazu gehört Ihr Amtsantritt als Staatspräsident, von dem alle Welt weiß, dass er durch Betrug zustande kam. Von Freiheit dürfen Sie nicht sprechen, denn für Sie gibt es keine andere Welt als jene, die vom Terror der todbringenden Waffen beherrscht wird, die Ihre unerfahrene Hand auf die Menschheit loslassen kann.

Von Umwelt dürfen Sie nicht reden, denn Ihnen entgeht vollkommen, dass die Gattung Mensch Gefahr läuft zu verschwinden.
Der Tyrannei beschuldigen Sie das wirtschaftliche und politische System, welches das kubanische Volk – verglichen mit den am weitesten entwickelten Ländern der Welt – auf die höchste Stufe der Alphabetisierung, des Wissens und der Kultur geführt hat; welches die Säuglingssterblichkeit auf eine Ziffer reduziert hat, die unter derjenigen in den Vereinigten Staaten liegt und das der Bevölkerung sämtliche Leistungen des Gesundheitswesens, des Bildungswesens und anderer gesellschaftlich und menschlich bedeutender Bereiche kostenfrei zuteil werden lässt. Lächerlich und hohl klingen Ihre Äußerungen über Menschenrechte in Kuba. Dieses, Herr Bush, ist eines der wenigen Länder auf dieser Erdhälfte, in denen es in 45 Jahren niemals Folter, keine Todesschwadron, keine außergerichtliche Exekution, keinen Regierenden gegeben hat, der in Ausübung der Macht zum Millionär geworden wäre.

„Lächerlich und hohl klingen ihre Äußerungen über Menschenrechte in Kuba“

Es fehlt Ihnen an moralischer Autorität, über Kuba zu sprechen; ein Land, das einer 45 Jahre währenden brutalen Blockade, einem Wirtschaftskrieg und terroristischen Überfällen widerstanden hat, die Tausende Menschenleben gefordert und Milliarden Dollar an wirtschaftlichem Schaden verursacht haben. Sie nehmen Kuba gegenüber eine feindselige Haltung ein, und das aus schäbigen politischen Gründen: Weil Sie Unterstützung für Ihre Wahl bei einer schrumpfenden Gruppe von Abtrünnigen und Söldnern suchen, die weder Ethik noch Prinzipien kennen. Ihnen, Mr. Bush, fehlt die Moral, um von Terrorismus sprechen zu können, denn umgeben sind Sie von einer Mörderbande, die mit ihren kriminellen Handlungen das Leben Tausender Kubaner auf dem Gewissen haben. Aus Ihrer Verachtung von Menschenleben machen Sie keinen Hehl, denn Sie haben nicht gezögert, den außergerichtlichen Tod einer unbekannten, da geheim gehaltenen Anzahl Personen in der Welt zu befehlen.

Sie nehmen sich das Recht der nackten Gewalt, sich in die Angelegenheiten Kubas einzumischen und nach Ihrem Gutdünken den Übergang von einem System in ein anderes zu proklamieren und Maßnahmen zur Umsetzung dieses Plans zu treffen. Dieses Volk kann ausgerottet werden – Sie sollen das ruhig wissen -, es kann vom Erdboden gefegt werden, doch es kann nicht unterjocht werden, um erneut in den demütigenden Status einer Neokolonie der Vereinigten Staaten herabzusinken.
Kuba kämpft für das Leben auf der Welt; Sie kämpfen für den Tod. Während Sie mit Ihren Präventiv- und Überraschungsangriffen unzählige Menschen töten, rettet Kuba hunderttausendfach das Leben von Kindern, Müttern, Kranken und alten Menschen auf der Welt.

Das einzige, was Sie über Kuba wissen, sind die Lügen einer korrupten und unersättlichen Mafia ehemaliger Batista-Anhänger und deren Nachkommen, die Experten im Wahlbetrug und in der Lage sind, jemanden zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu machen, dessen erzielte Stimmen für einen Wahlsieg nicht ausreichten. Ein System der Ungleichheit wie jenes, das Sie repräsentieren, bringt den Menschen keine Freiheit, sie können überhaupt nicht wissen, was Freiheit ist. In den Vereinigten Staaten sind die Menschen bei ihrer Geburt nicht gleich. In den Ghettos der Menschen afrikanischer und lateinamerikanischer Abstammung und in den Reservaten der Indios, die dieses Land bevölkerten und die ausgerottet wurden, gibt es keine andere Gleichheit als jene, arm zu sein und ausgegrenzt zu werden. Unser Volk, erzogen im Geiste der Solidarität und des Internationalismus, empfindet dem US-amerikanischen Volk gegenüber keinen Hass und möchte die jungen Soldaten seines Landes nicht sterben sehen. Es sind Weiße, Schwarze, Indios, Mestizen, Lateinamerikaner, häufig durch Arbeitslosigkeit dazu gebracht, in Militäreinheiten zu kämpfen und zu Präventivschlägen oder in Eroberungskriege irgendwohin auf der Welt geschickt zu werden. Die unglaublichen Folterungen an Gefangenen in Irak haben die Welt aufs äußerste entsetzt.

„Ich werde an vorderster Front stehen bei der Verteidigung meiner Heimat“

Meine Absicht ist es nicht, Sie mit diesen Zeilen zu beleidigen, ich sagte es bereits. Mein Bestreben ist es lediglich, dass irgendeiner Ihrer Assistenten, wenn Sie einmal einen Augenblick Zeit haben, Ihnen diese Wahrheiten unterbreitet, auch wenn Sie Ihnen partout nicht genehm sind. Da Sie nun entschieden haben, dass die Würfel gegen uns gefallen sind, möchte ich mich von Ihnen verabschieden mit den Worten der römischen Gladiatoren, die zum Kampf die Arena betraten: Heil dir, Cäsar; die Todgeweihten grüßen dich. Ich bedauere nur, dass ich dabei nicht einmal Ihr Gesicht sehen kann, denn in diesem Falle werden Sie Tausende Kilometer entfernt sein, und ich werde an vorderster Front stehen, um bei der Verteidigung meiner Heimat kämpfend zu fallen.

Im Namen des kubanischen Volkes

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