SANTORIN
Marcitus und seine Frau Pasiphae hatten ein schönes Leben auf Thira auch wenn sie nur einfache Bauern waren. Thira mit seinem Hafen, auf einer der wichtigen Handelsrouten des minoischen Reiches, bescherte seinen Bewohnern ein einträgliches Leben. An den Hängen des Vulkans war die Erde fruchtbar und die Ente reich. Sie versäumten auch keine der Prozessionen auf der den Göttern Opfer dargebracht wurden um sie milde zu stimmen. Doch sie ahnten, dass trotz allem ihre Welt nicht mehr in Ordnung war. Erdstöße rissen sie in der Nacht aus dem Schlaf. Die Rauchwolke über dem Vulkan wurde immer größer und egal wie viele Opfer sie darbrachten, die Götter sendeten Rauch und Feuer zum Himmel, bis man den Tag nicht mehr von der Nacht unterscheiden konnte. Er wollte nicht mit seiner Familie an einem unbekannten Ort neu beginnen müssen. Doch nun musste er einsehen, dass Beten und Warten keinen Sinn mehr hatte und er fürchtete sie hätten schon zu lange gewartet. Sie stolperten die Stufen zum Hafen hinunter. Seine Frau trug ihr Kind auf dem Arm und er eine Ziege. Dies war alles was sie retten konnten, bevor die Lava ihre Hütte verschlang. Alles mussten sie zurücklassen. Die Felder brannten. Die Flammen färbten den Tag, der sich zur Nacht wandelte, in ein blutrotes Licht.
Tränen liefen über sein rußgeschwärztes Gesicht.
Das letzte Schiff das die Insel verließ nahm sie mit. Es regnete Feuer und Asche und das Meer schäumte. Der Lärm übertönte Schreie voller Angst. Draußen auf dem Meer, brennende Schiffe von denen sich Menschen ins Wasser stürzten. Angst erfüllte auch sie als sie zurück auf die Insel und zugleich in eine ungewisse Zukunft schauten.
Wie durch ein Wunder erreichten sie mit einigen anderen Booten die Insel Crete. Während sie an Land gingen brach auf Thira die Kraterwand ein und Millionen Kubikmeter Meerwasser ergossen sich über die tausend Grad heiße Lava. Eine gewaltige Explosion zerriss die Insel. Millionen Tonnen Lavagestein und Wasserdampf wurden mit Schallgeschwindigkeit fünfunddreißig Kilometer hoch in den Himmel geschleudert. Die Schockwelle der Explosion riss sie von den Beinen, während sie in die höher gelegenen Gebiete der Insel flüchteten. Still baten sie die Götter um Erbarmen, während sie mit den Gesichtern im Staub lagen. Kaum eine Stunde brauchte die Flutwelle bis Crete und verwüstete die küstennahen Bereiche.
Dann wurde es still.
So wie sie gefallen waren erwachten sie am nächsten Morgen. Durst war der erste Gedanke und die Asche in der Luft machte das Atmen immer noch schwer. Sie gingen zurück zum Hafen. Inmitten gestrandeter Boote und verstreut liegender Habseligkeiten fanden sie einige unversehrt gebliebene Amphoren mit Wasser und einen durchnässten Sack mit Saatgut.
Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte beide, als das Wasser die Kehle hinunterrann. Er wollte die Amphore gerade absetzen, da brach die Sonne durch die schwarzen Wolken. Sie nahmen den Sack mit dem Saatgut und zwei der Amphoren und machten sich auf den Weg ein Stück Land zu finden.
Vielleicht gelingt es uns doch noch einmal, dachte er.
3603 Jahre später setzt im in der dunstigen und heißen Luft über dem Mittelmeer ein Airbus A320-200 der Aero Lloyd mit kreischenden Reifen auf dem Flughafen von Santorini auf. Die Schubumkehr brüllt auf und für einen Moment klingt es wie ein Vulkanausbruch.
Ende August neigt sich auch hier der Sommer dem Ende zu und die Landschaft ist ausgedörrt. Tägliche Temperaturen von 38° Grad Celsius werden mit uns das gleiche versuchen. Die Landschaft ist nicht nur ausgedörrt sondern auch zersiedelt. Überall wird gebaut. Neue Häuser für noch mehr zahlende Gäste. Die Räume zwischen den Häusern sind nicht selten gefüllt mit sich stapelnden Altautos und sonstigem Müll.
Auf den vier großen Straßen der Hauptstadt Fira drängen sich hunderte von Mietwagen, Mofas und Busse um den besten Platz in der Glocke aus Abgasen. Fast täglich liegen im Hafen Kreuzfahrtschiffe, die Pauschalreisende mit vollen Geldbörsen zu Shorttrips auf die Insel entlassen. Diese füllen die Gassen der Altstadt und die Kassen der Besitzer der vielen exklusiven Shops. Käme Marcitus heute wieder auf seine Insel, er würde sicher gleich wieder flüchten. Dieses Mal freiwillig.
Wir bleiben, decken uns im Supermarkt mit Getränken ein und schlendern am Abend etwas durch Fira. Interessant ist ein Stadtbummel am Abend immer. Zum einen sind die Temperaturen erträglich und zum anderen sind die illuminierten Städte am Rand der Caldera hoch über den kleinen Häfen ein unvergessliches Bild.
Wenn man sich mit der Insel beschäftigt und sich auf sie einlässt, kann man auch abseits vom Lärm der Städte wie Fira oder Oia, die nur den Zweck erfüllen die Klischees der Besucher zu bedienen, interessante Orte finden. Die Sonne geht etwa zwischen 6 und 7 Uhr auf. Wenn man einen grandiosen Sonnenaufgang erleben will, empfehlen sich die Kirchen von Mésa Goniá und Éxo Goniá. Der Standpunkt am Berg und die Kirchen garantieren unvergessliche Eindrücke. Oft ist es am Morgen sehr neblig, so dass die Sichtweite unter fünf Metern sinkt. Keine Angst, der verzieht sich schnell wenn die Sonne erst mal über dem Horizont ist. Man sollte dann unbedingt in die Caldera schauen. Ab und zu liegt dann über dem Meer eine dichte Nebeldecke. Vom Kraterrand schaut man dann über das Meer in der Caldera und ein Tuch aus winzigen Wasserperlen bedeckt das blaue Nass und die darauf schwimmenden die Schiffe. Etwa gegen zehn Uhr hat die Sonne dann die kleinen Tröpfchen verdampft und man kann sich auf den Steinen Frühstückseier braten.
Hinter Akritori geht eine unscheinbare Straße nach links in eine hügelige Landschaft. Den Gavrilos Berg krönen acht inzwischen verfallene Windmühlen. Der Anblick ist schön und traurig zugleich. Die zylindrischen Torso der Mühlen erinnern ein wenig an Kämpfer ohne Helm und Waffen, die darauf warten, dass sie wieder gebraucht werden. Aber nicht nur die neuen, elektrisch getriebenen Maschinenanlagen machten ihnen den Garaus, sondern auch derjenige, der sie eigentlich am Leben erhielt, der Wind. Vor allem während der Winterstürme wurden immer wieder die nur mit Stroh und Rohr gedeckten Dächer fortgerissen und die dünnen Holzstangen und Segeltuch gefertigten Mühlenflügel abgeknickt. Irgendwann lohnte sich dann die Reparatur nicht mehr.
Gutes Fotolicht hat man dort am frühen Nachmittag.
Fünfzehn Minuten Fahrt sind es von dort weiter zum Kap Akritori mit dem einsamen Lichthaus. Die einsame Küstenstraße bietet schöne Ausblicke und ein einfaches aber preiswertes Restaurant. Besonders schön ist es dort nach Sonnenaufgang wenn der Turm angeleuchtet wird und winzige Fischerboote das Kap umfahren.
Ein Feeling, ein klein wenig wie in Machu Picchu hat man in Alt Thera. Nach der Auffahrt über die abenteuerliche Pflasterstraße hat man noch einen dreißig minütigen Marsch über steinige Wege zu der 2900 Jahre alten Stadt der Dora. Wenn uns auch alte Steine nicht so begeistern, so doch der schöne Blick über einen Teil der Insel. Man sollte lieber am Morgen die Anlage besuchen, da dass Licht dann besser ist und es noch nicht so unerträglich heiß ist.
Einige Kilometer östlich von Oia, gelangt man über sandige Schlaglochpisten mit dem Auto, zu den Stränden Mavropetra, Baxedes, Koloubo und Pori. Wir waren am Strand von Pori aber wir sind keine Freunde von steinigen und vermüllten Stränden. Insgesamt hat uns der östliche Teil der Insel weniger gefallen. Aber es gibt auch hier schöne und im Gegensatz zu den Orten am „Crater Highway“, ruhige Ecken.
Oia ist eine Stadt, die nach der Saison verlassen ist. Die Bewohner der berühmtesten Stadt Santorinis, ziehen nach der Saison nach Fira oder auf das griechische Festland. Sehenswert ist sie aber trotz allem. Die Gassen suggerieren ein Bild von einem beschaulichen Leben. Besonders schön ist es in einer der Bars am Hafen, in denen man Bier trinken und auf das Meer schauen kann. Ab und an kommt ein Schiff durch die Meerenge zwischen Santorini und Nisi Thirasía und wer Lust hat, kann gleich von der Kaimauer ins Meer springen. Etwa tausend Menschen versammeln sich allabendlich in Oia um den Sonnenuntergang zu zelebrieren. Man sollte sich spätestens eine Stunde vorher einen guten Platz sichern. An dieser Stelle möchte ich den Mythos der sagenhaften Sonnenuntergänge auf den Kykladen in Frage stellen. Sonnenuntergänge sind in unseren Breiten oft viel spektakulärer, werden jedoch sicher nur selten so bewusst wahrgenommen. Hier auf dem Mittelmeer, verschwindet die Sonne, bedingt durch die hohe Verdunstung im Laufe des Tages schon lange bevor sie den Horizont erreicht.
Doch von den über tausend Touristen in verklärter Urlaubstimmung wird sie mit Applause verabschiedet. Vielleicht ist der Jubel aber auch so frenetisch, weil ab jetzt die Temperaturen im Verlauf der Nacht auf Tiefstwerte von 22°Grad Celsius sinken. Danach sind die Gassen verstopft von Menschen auf dem Weg zu den Parkplätzen und Hotels. Ein endloser Lichterwurm aus Autos, Mofas und Bussen windet sich eine Stunde lang über die Bergstrasse, verteilt seine menschliche Fracht auf die Orte der Insel und es wird einem wieder bewusst, dass 50.000 Touristen die sich täglich auf der Insel aufhalten, 3.000 ständigen Einwohnern gegenüberstehen.
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