TÜRKEI – DAMPF UNTERM HALBMOND

1. April 2025 joerg

Ein etwa 1955 gebauter Renault Goélette ist in der Osttürkei im Überlandverkehr im Einsatz.
11.09.1993 – 18.09.1993
Im Sommer 1990 erloschen die Feuer in den letzten planmäßig eingesetzten Dampflokomotiven auf türkischem Boden. Bis zum Zeitpunkt dieser Reise, vier Jahre nach dem offiziellen Ende des Dampfbetriebes in der Türkei, hatten sich noch viele der Ferrofossilien als Rangierlokomotiven halten können. Mit diesen Dampfloks blieb mancherorts auch die nötige Infrastruktur, wie Wasserkräne, Ausschlackgruben und Kohlebansen erhalten. Beste Bedingungen um vermeintlich Versäumtes nachzuholen. Günter Ozcko und Dietmar Kramer veranstalteten ab 1990 zahlreich Touren mit authentischen Zuggarnituren bespannt mit allen noch verfügbaren Dampflokomotivbaureihen der TCCD.
Zwei Wochen vor Beginn einer solchen Tour, entschloss ich mich daran teilzunehmen. Allerdings beinhaltete der Preis von 1.100 Mark nur das Landarrangement. Den Flug hin und zurück bekam ich für 470 Mark in einem türkischen Reisebüro im Berliner Stadtteil Wedding.
Bei meiner Ankunft war es noch dunkel in Ankara. Nachdem ich es vom Flughafen in Ankara zum Busbahnhof geschafft habe, ging die Suche nach dem richtigen Bus und dem dazugehörigen Ticketverkauf los. Ich spreche kein Türkisch, ein schlechtes Deutsch und ein noch schlechteres Englisch. Es mutet wie ein Wunder an, dass ich dann irgendwann im Bus nach Erzurum saß.
Mit wenigen Pausen raste der Überlandbus in 14 Stunden von Ankara nach Erzurum. Unterwegs gab es im Bus auch einen „Steward“, der aus einem Kühlschrank Wasser, welches in wabbeligen Plastiktüten eingeschweißt war, verteilte. Wie bekommt man in einer Fabrik Wasser in Plastikbeutel? Ich war der einzige Ausländer in diesem Bus. Ein älterer Türke, der eine Reihe schräg vor mir im Bus saß, war ein Gastarbeiter der ersten Generation in Deutschland und wir betrieben etwas Konversation.

Die Strecke von Erzurum nach Kars stellt eine Besonderheit mit historischem Hintergrund dar.
In Erzurum schlug ich mich zum „Büyük Erzurum Hotel“ durch, in dem auch die anderen Reiseteilnehmer untergekommen sind. Für mich gibt es dort auch noch ein fensterloses Zimmer, dessen Wände mit hellgrüner Ölfarbe gestrichen sind. Nachts weckt mich Maschinengewehrfeuer und ich glaube auch eine explodierende Handgranate in der Ferne zu hören. Dann schlafe ich wieder ein. In dem fensterlosen Loch verschlafe ich.
„Die Tour Beginnt am Sonntag, den 12.09.1993 auf dem Bahnhof von Erzurum. Treffpunkt Bahnhof 06.00 Uhr spätestens!“, stand auf dem Tourprogramm. Ohne Frühstück aber mit leichter Panik fahre ich mit einem Taxi zum Bahnhof, wo hoffentlich noch der Zug nach Kars wartet.
Für einen schwarzen Tee am Bahnsteigimbiss war gerade noch Zeit. Tiefbraun mit viel Zucker. Obwohl ich kein passionierter Teetrinker bin, dieser Tee überzeugte mich geschmacklich absolut. Kombinierte Züge mit Güter- und Personenwagen gezogen von Dampflokomotiven waren bis Ende der 80´er Jahre hier Normalität. Die Dampflokära endete offiziell mit der Einführung der Diesellokbaureihen DE 11, DE 22 und DE 24. Mancherorts waren bis in die 1990er Jahre Dampflokomotiven, deren Kesselfrist noch nicht abgelaufen war, im Einsatz. Diese waren oft in einem schlechten Pflegezustand und verrichteten meist nur Rangierarbeiten. Die stählernen Zeitzeugen waren in vielen Depots noch lange abgestellt zu sehen. Die letzten einsatzfähigen Lokomotiven, konnten bis in die frühen 2000er Jahre für Sonderzüge gechartert werden. Auch die Tour zwischen dem 12. und dem 18. September 1993 war eine solche Charter-Zug Reise.
Ein Pfiff, wir bestiegen die betagten Wagen und unter einer Fahne aus Dampf und Rauch verließen wir Erzurum und erklommen auf dem stählernen Weg das Gebirge hinauf, in das auf einer Höhe von 1.768 Metern gelegene Kars.
Irgendwo hinter Kars bei einem Stopp des Zuges hatte ich das erste Erlebnis, dass sich für immer in mein Gedächtnis eingeprägt hat. Die Mittagssonne brannte vom Firmament und es war heiß und staubig. Männer waren überall präsent nur Frauen sah man keine. Sie waren schwer zu entdecken, denn sie saßen im Schatten eines Baumes in langen schwarzen Gewändern mit Niqab, bei dem nur ein kleiner Sehschlitz frei bleibt. Nicht wegen uns, denn wir waren ja eine Art zufälliger Überraschungsbesuch. Außerhalb von Gebäuden ist es für Frauen jeden Alters hier, weit weg von Istanbul, außerhalb der eigenen vier Wände, ungeschriebenes Gesetz.
Die Strecke von Erzurum nach Kars stellt eine Besonderheit mit historischem Hintergrund dar. Um 1915 war das Gebiet der Schauplatz des viel diskutierten Völkermordes an den armenischen Anatoliern durch die Türken. Das Gebiet um Kars war bis nach dem 2. Weltkrieg an das Russische Reich angegliedert.
Die spektakuläre Bergstrecke führt zum höchstgelegenen Bahnhof Atit (2300 m) der TCCD und von Kars sind es nur noch wenige Kilometer bis zur armenischen Grenze. Die Berge rund um Kars sind im Winter ein beliebtes Skigebiet, wodurch die Stadt mehr als nur eine trostlose Grenzstation ist.
Von Erzurum nach Sarikamiú existierte eine Breitspurstrecke als Teil einer geplanten aber nie fertig gestellten Strecke Europa – Indien. Von Sarikamiú nach Kars gab es eine russische 750 mm Schmalspurbahn. Beide Strecken wurden zwischen 1957 und 1962 auf Normalspur umgespurt.
13.09.1993 Nach einer Übernachtung in Kars fuhr der Zug weiter bergauf über die Ostrampe zum Scheitelpunkt nach Azit. Von dort geht es dann im Gefälle bis Horasan und Erzurum. Zwischen Süngutasi und Horasan bieten zahlreiche schöne Steinbogenbrücken gute Fotomotive.
14.09.1993 Auf dem Weg von Erzurum nach Erzincan stößt die Bahnlinie in Akyurt auf den Euphrat und folgt ihm bis Divigri. Weite Täler wechseln mit tiefen Schluchten über denen schroffe Felswände aufragen. Die Streckenführung hat hier unzählige Brücken und Tunnel um dieses unzugängliche Gebiet zu durchqueren.
Vom Zweistromland hatte ich in der Schule gehört. Doch das es für Juden, Christen und den Islam gleichermaßen heiliges Land ist, wusste ich nicht. Das Buch Genesis beschreibt das Paradies zwischen den Flüssen Euphrat, Tigris, Pischon und Gichon. In Mesopotamien glaubte man an den Mythos das Euphrat und Tigris den Augen der Urgöttin Tiamat entspringen, die von Marduk getötet wurde und aus der er Himmel und Erde formte.
Den Griechen galt der Euphrat wie sein Bruder Tigris als Sohn des Pontos und der Thalassa.
Zunächst noch weitläufig verengen sich die Schluchten hinter Gülübag dramatisch. Der Bau der Strecke durch die Euphratschlucht forderte die Ingenieure und gehört wohl zu den landschaftlich beeindruckendsten Strecken des Orients.
15.09.1993 Der zweite Streckenabschnitt im landschaftlich einmaligen Euphrattal führt uns von Erzincan nach Divigri. Besonders hervorzuheben sind hier die vielen Tunnel, engen Schluchten und der spektakuläre Durchbruch vor Kemah. Da wir einen Sonderzug hatten, konnten wir uns hier fotografisch austoben bis keine Sonnenstrahlen mehr die Talsohlen erreichten.
Die Stadt Sivas war auch Heimat eines Dampflokausbesserungswerkes. Vier Kilometer hinter Adatepe schwenkt die Bahn weg vom bedeutungsschwangeren Fluss Euphrat nach Divigri. Hier stiegen wir in einen Bus um, der uns von Divigri nach Sivas bringt, wo wir übernachteten. und wir hatten die Möglichkeit es zu besichtigen. Dieser Tage werden jedoch mehr Lokomotiven verschrottet als in Stand gesetzt. Wie wir uns so auf dem Gelände umschauten, kam ein älterer Arbeiter auf uns zu und spricht uns an. Einer aus unserer Gruppe konnte ein paar Worte türkisch und so wurden wir in die Werkhalle gebeten. In der riesigen Halle scharten wir uns um einen improvisierten Pausenplatz mit selbstgebautem Tisch und klapprigen Sitzgelegenheiten drumherum. Zum Gespräch benötigten wir alle Gliedmaßen. Es wird schwarzer Tee gereicht. Nach einiger Zeit wird eine Flasche mit klarer Flüssigkeit und kleine Gläser hervorgeholt. Es ist Yeni Raki und es ist kurz nach Mittag. Wir fragten ob Trinken im Islam nicht verboten sei. Ja, schon. Aber hier in der überdachten Halle können Allah das nicht sehen. Es gibt so viel über fremde Kulturen und Glauben zu lernen.
Links: Die TCCD Lokomotiven 56.052 und 56.140 überqueren am 15.09.1993 kurz vor Kemah den Calti Cayi einen Nebenfluß des Euphrat.

Das große Sterben ist in vollem Gang
Die Stadt Sivas war auch Heimat einesDampflokausbesserungswerkes. Vier Kilometer hinter Adatepe schwenkt die Bahn weg vom bedeutungsschwangeren Fluss Euphrat nach Divigri. Hier stiegen wir in einen Bus um, der uns von Divigri nach Sivas bringt, wo wir übernachteten. und wir hatten die Möglichkeit es zu besichtigen. Dieser Tage werden jedoch mehr Lokomotiven verschrottet als in Stand gesetzt. Wie wir uns so auf dem Gelände umschauten, kam ein älterer Arbeiter auf uns zu und spricht uns an. Einer aus unserer Gruppe konnte ein paar Worte türkisch und so wurden wir in die Werkhalle gebeten. In der riesigen Halle scharten wir uns um einen improvisierten Pausenplatz mit selbstgebautem Tisch und klapprigen Sitzgelegenheiten drumherum. Zum Gespräch benötigten wir alle Gliedmaßen. Es wird schwarzer Tee gereicht. Nach einiger Zeit wird eine Flasche mit klarer Flüssigkeit und kleine Gläser hervorgeholt. Es ist Yeni Raki und es ist kurz nach Mittag. Wir fragten ob Trinken im Islam nicht verboten sei. Ja, schon. Aber hier in der überdachten Halle können Allah das nicht sehen. Es gibt so viel über fremde Kulturen und Glauben zu lernen.
Der wütende Ausruf von Sven P., der sich zum wiederholten Mal mit seiner Kleidung im trockenen Buschwerk verfangen hatte ist mir in Erinnerung geblieben: „Verdammt, alles was hier wächst hat Stacheln!“
Erosionshalden, Steine und Dornenbüsche sind die bestimmenden Elemente der osttürkischen Landschaft. Das wenige Grün findet sich fast nur in den Flusstälern.
Hier in der Osttürkei waren wir in Gebieten unterwegs, in denen die PKK einen unabhängigen Staat errichten wollte. Die Sicherheitslage ist immer fragil. Die Schüsse in der Nacht unterstrichen das.
Auf der Fahrt von Erzincan und Divigri fuhren Soldaten im Zug mit. Anschläge auf Einrichtungen des türkischen Staates, wozu auch die Eisenbahn gehört, forderten immer wieder Opfer. Hinter manchen Bahnhofsgebäuden wurden Panzer in Stellung gebracht. Was den einen vielleicht mit Angst erfüllte, habe ich eher als faszinierend und abenteuerlich empfunden.
Auf dem Weg von Kayseri nach Nidge prägen Felder die Landschaft. Nur schemenhaft erheben sich dahinter die Berge. Vor Nidge durchquert der Zug die Akköy Schlucht. Die Landschaft ist hier schon mediterran und hinter Ulukisla fährt man durch ein unsichtbares Tor. Plötzlich wird es feuchtwarm. Rechts und links der Bahn liegen Felder, die Landschaft ist saftig grün und die erste Palmen zierten die Landschaft. Der imposante Giaurdere-Viadukt bei Posanti ist ein Teil der ehemaligen Bagdadbahn und wurde von der Philipp Holzmann AG errichtet. Wir näherten uns Adana wo die Tagesetappe zu Ende ging. Zum Mittelmeer waren es aber von Adana noch weitere 55 Kilometer.
19.091993 Von Adana erklomm der Sonderzug, gezogen von 46 052 die Rampe in das Taurusgebirge und erreichte am Nachmittag Ulukisla. In einem mit Vorhängen vor den Blicken Allahs geschützten Raum feierten wir die gelungene Tour mit unzähligen Flaschen Efes ab. Dann brachte mich und einige andere Reiseteilnehmer ein Nachtzug von Ulukisla nach Ankara. Es war sicher ein Bier zu viel und die Nacht war auch nicht wirklich erholsam, wenn ich meinem Spiegelbild in dem blinden Spiegel auf dem Zugkloo Glauben schenkte. Um Viertel nach acht Uhr am Morgen kletterten wir aus dem Zug.
In Ankara besuchten wir das Eisenbahnmuseum, bevor wir dann weiter nach Istanbul fuhren.
Am späten Nachmittag traf unser Zug am Bahnhof im Bahnhof Istanbul Haydarpaşa ein, wo vor dem Empfangsgebäude Lok 23-004 zu bestaunen ist. Diese Lokomotive erinnert an die Ottoman Railway Company (ORC), die zwischen 1869 und 1888 diese Lokomotiven von Sharp Stewart in England beschafften. Diese Lokomotiven wurden auch auf der berühmten Orientbahn eingesetzt.
Rechtzeitig zum Sonnenuntergang fuhren wir mit der Fähre über den Bosporus. Am Ufer zeichnete sich die Silhouette Istanbuls mit der Hagia Sophia und der Blauen Moschee vor dem blutroten Himmel ab.
Wir bezogen ein günstiges Hotel in der Altstadt. Irgendwie erschien mir damals aber alles in Istanbul eine Altstadt zu sein.
Zu den Zimmern ging es eine steile Treppe, in einem beklemmend engen Treppenhaus hinauf und ich dachte: „Wenn es hier ein Erdbeben gibt, komme ich hier nicht lebend raus“.
Am nächsten Morgen querten wir die Galatabrücke (türkisch Galata Köprüsü) über den Bosporus hinüber in den Orient. Bemerkenswert sind die mehrstöckigen Holzhäuser die in einigen Stadtteilen die Zeiten überdauert haben. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren noch ganze Stadtviertel von Istanbul von Holzhäusern geprägt. Der Grund warum fast ganz Istanbul einst aus Holzhäusern bestand ist einfach. Sie widerstehen den Erdbeben. Doch immer mehr dieser historischen Gebäude wichen moderner Architektur. Am Nachmittag liefen wir zu dritt etwas durch die nähere Umgebung unsere Hotels wobei wir auch an Zeitungskiosken vorbeikamen, in dessen Auslagen Zeitungen angeboten wurden, auf deren Titelseiten sich fast nackte junge Frauen in lasziven Posen rekelten. Auch die Begegnung mit den Kindern, die sich als Straßenverkäufer verdienten sind mir bis heute in Erinnerung geblieben. Sie folgten uns einige hundert Meter um uns Taschen oder Koffer zu verkaufen. Als sie jedoch realisierten, dass wir nichts kaufen würden, kippte die Stimmung. „Nazi, Nazischwein“ zischen sie uns hinterher.
Am nächsten Morgen verließen wir das Land mit den scheinbar so unterschiedlichen Kulturen. Am Flughafen liefen zwei junge Frauen der Sicherheitsbehörden Streife. Sie tragen dunkelblaue Miniröcke, weiße Blusen und haben die langen schwarzen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. An ihrem breiten Ledergürtel sind dicke Pistolen befestigt. Krasser konnte der Gegensatz zu den Frauen in Burkas unter dem Baum nicht sein.
Quellen
Mein Reisetagebuch
Recherchen bei Brockhaus und Wikipedia
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